Heiner Müller hat die Szene angesiedelt zugleich in einem Salon der Französischen Revolution und in einem Bunker nach dem dritten Weltkrieg. Selten dringen Stimmen, dringt Tumult oder Kampflärm ein in den hermetischen Raum. Dort umkreisen sich die sexuellen Raubtiere, tauschen die Rollen, die Geschlechter in Szenen bitterer Komik, verwandeln die Täter sich in ihre Opfer. Begehren scheint in dieser Welt nur noch als Gewalt, als Aggression möglich, die Sprache ist ihr Ausdruck: „Jedes Wort reißt eine Wunde, jedes Lächeln entblößt einen Fangzahn.“
Intensiv und anspielungsreich
Die Regisseurin selbst hat die Tübinger Bühne als Altarraum gestaltet. Im Hintergrund ein Triptychon, harte weiße Flächen, manchmal angestrahlt in intensiven Farben, manchmal Projektionsfläche für stumme stilisierte Szenen in Schwarz-Weiß (Videobühne: Kivik Kuvik). Die jungen Darsteller Henriette Weckherlin und Christoph von Reichenbach verschmelzen in diesen Szenen zum Bild der Geschändeten: Hingestreckt auf den Altar, Valmonts Hand zerreißt den Stoff, das Auge des Opfers öffnet sich: blutige Tränen.
Vor diesen Bildern: ein gekreuzigter Körper, gesenkter Blick, ganz ausgemergelt, brüchig. Unter ihm der Altar (Bühnenplastik: Gustav Mayer), der zugleich die Tafel ist, auf dem Merteuil und Valmont ihre Cocktailgläser abstellen, auf dem sie Kokain einsaugen vom silbernen Tablett, das zuvor Hostien trug, ehe die Marquise de Merteuil sie auf den Boden schleuderte. Ein schwerer Block, dieser Altar, geteilt von einer Rille, offenkundig dazu bestimmt, Blut aufzunehmen: ein Opferstein.
Brillante Darstellung
Merteuil tritt zuerst auf. Sie trägt weißen Pelzmantel (Kostüme: Christopher Paepke). Zur Musik aus Bachs Matthäuspassion streckt sie sich mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden aus. Dort liegt ein Stemmeisen bereit; sie nimmt es auf und zerschlägt dem Christus die tönernen Beine. Blut läuft auf den Stein. Die Marquise träumt mit Worten den noch abwesenden Valmont herbei – „Wenn ich die Augen schließe, sind Sie schön!“ – und steckt sich nun auf dem Altar, besudelt ihren weißen Pelz. Später wird Valmont auf den Altar springen, dort umher gehen, die Schöße seines weißen Rockes ebenfalls rot färben.
Brigitte Maria Mayer hat Heiner Müllers „Quartett“ aufgeladen mit religiöser Symbolik. In einem Interview mit dem Tübinger Dramaturgen Adrian Herrmann spricht sie auch über Bezüge zum Skandal um Jeffrey Epstein. Den mag man wiedererkennen in der süffisanten Lässigkeit, mit der Stephan Weber als Valmont seine böse Gier überspielt – „Ich, grausam!“, ruft er höhnisch aus, beginnt zu lachen. Susanne Weckerle dagegen gibt der Marquise de Merteuil eine harte, fordernde Leidenschaft, die selbst erlittene Verletzungen ahnen lässt. Beiden bleibt nur die Leere, die Grausamkeit und Heiner Müllers dichter, elegant abgründiger Text, der sie in die Spirale der Selbstvernichtung treibt: Die Darsteller brillieren ausdrucksstark, facettenreich in dieser Inszenierung.