Foto: Ensembleszene mit Ilia Papandreu (links) als Emilia Marty © Nik Schölzel
Text:Bernd Zegowitz, am 31. Januar 2022
Die vierte Corona-Welle hat Würzburg voll erwischt, doch untergegangen ist das Mainfranken Theater nicht. Zuerst musste die Premiere von Leoš Janáčeks „Sache Makropulos“ um eine Woche verschoben werden, dann konnte sie zwar stattfinden, doch nur mit Klavierbegleitung und im Februar wird das Theater ganz schließen, mindestens für einen Monat. Wann wieder gespielt wird, weiß kein Mensch, nicht mal der Intendant. Ob die Neuinszenierung irgendwann wieder aufgenommen werden kann, ist ungewiss. Die Bühnenbilder und die Kostüme werden jetzt erst einmal wieder verpackt und ins Lager geschafft. Viel Platz braucht es dafür nicht.
Da das Theater sowieso in einer Ausweichstätte, der Theaterfabrik Blaue Halle, im Stadtteil Dürrbachau spielt, sind die bühnentechnischen Möglichkeiten begrenzt. Zwei Lagercontainer, die vor dunklem Hintergrund verschoben, geöffnet und wieder geschlossen werden, genügen der Regisseurin Nina Russi. In diesen, daneben und davor spielt das Geschehen um die Protagonistin Emilia Marty, die über 300-jährige Sängerin, um deren Geheimnis sich die ganze Oper dreht. Als Kind hatte ihr Vater, der Leibarzt Kaiser Rudolfs II., ein Elixier an ihr getestet, das den Menschen 300 Jahre lang am Leben hält. Seit dieser Zeit lebt sie unter verschiedenen Namen stets mit den Initialen E.M. Nun muss sie allerdings, um wieder in Besitz des Rezepts für das Elixier zu kommen, einen komplizierten Erbschaftsstreit lösen helfen, ohne ihre Vergangenheit dabei offen zu legen.
Intensive Identitätssuche
Russi interessiert nicht die komplizierte Nacherzählung eines juristischen Falles, in dem es um verschwundene Testamente, langjährige Gerichtsprozesse, zerstrittene Parteien geht, sondern die Identitätsproblematik des Stückes. Die Sängerin trifft auf eine Gesellschaft von Leuten mit klar verteilten Identitäten, den Anwalt, den Angestellten, die Aufwartefrau. Ihre eigene scheint unklar und rätselhaft. Im Verlauf des Stückes gelangt sie, die ja auch von Berufs wegen jeden Abend eine Bühnenrolle spielen muss, dann zu einer wirklichen Identität.
Wenn sie im Schlussmonolog diese enthüllt, steht sie im schlichten weißen Unterkleid mit aufgelöstem Haar in der Mitte der Bühne, die sie anfangs noch im Habit großer Schauspielerinnen betreten hat. Schicht für Schicht entledigt sie sich ihrer Kleider, bis sie am Schluss den Tod als Los des Menschen annimmt und stirbt, obwohl sie erneut in den Besitz des unsterblich machenden Elixiers, der Sache Makropulos, gekommen ist. Ilia Papandreou singt und spielt diese Emilia mit großer Intensität, mal kalt herablassend, dann zart und zerbrechlich, schließlich großartig befreit von einer 300-jährigen Last. Sie trifft den boulevardesken Konversationston ebenso wie den lyrisch-ariosen auch ohne orchestrale Stütze.
Blasse Nebenfiguren
Die übrigen Figuren hat die Bühnen- und Kostümbildnerin Julia Katharina Berndt in bunte Phantasiekostüme gesteckt, sie in eine Art Comicfiguren verwandelt, halb typisiert, halb individualisiert. Janáček hat jeder dieser Figuren ein Thema zugeordnet, das sich zunehmend verliert und auflöst. In Russis Inszenierung wird das allerdings nicht recht deutlich, da sitzen am Ende alle vereint und versöhnt etwas ratlos im Kreis um Emilia und schauen ihr beim Sterben zu. Insgesamt bleiben diese Figuren mit Ausnahme der Protagonistin zu blass, bleibt die Inszenierung zu sehr Experiment, zu sehr Spiel mit der Oberfläche, zu sehr stetiges Umkreisen, wo einzelne Momente ausgefüllt werden müssten, wo untergründig Verbindungen zu schaffen, Anstöße zu geben gewesen wären, ohne platte Antworten zu verlangen. Das Bühnenbild mit den Containern als Ort des Unbehausten, Transitorischen, das Spiel mit Innen und Außen, mit Enge und Weite, hätte diese Möglichkeiten geboten.
Furioses Klavier statt Orchester
Enrico Calesso dirigiert, als ob ein großes Orchester vor ihm sitzen würde, und David Todd am Klavier versucht alles, um dieses zu ersetzen und wird dafür zurecht gefeiert. Natürlich kann er Janáčeks Instrumentation nicht vergessen machen, die mit der Marty verbundene Viola d’amore oder die Blechbläserfanfaren, die die Welt Rudolfs II. wachrufen, aber die treibende Motorik der Musik, die Repetitionen kann er herausarbeiten, das beinahe mechanistische Prinzip der Komposition betonen. Auch die großen Steigerungen zu den Aktschlüssen hin vermag er zu realisieren, nur im Finale des letzten Aktes, wenn sich der Gesang und die Musik zu einem anhaltenden Melodiefluss vereinigen, fehlen die grundierenden Streicher schmerzlich. Sängerisch vermögen in einem guten Ensemble neben Ilia Papandreou vor allem Kosma Ranuer als raubeinig-kerniger Jaroslaw Prus und James Kee als energisch-fordernder Albert Gregor zu überzeugen
Janáček ohne Orchester ist trotz allem möglich und nicht sinnlos, das zeigt die Würzburger Aufführung. Ein wenig mehr Deutung durch die Regie wäre dennoch hilfreich gewesen, auch wenn das Stück eine offene Frage ist.