Foto: Drei Männer im Berg: „Monte Rosa“ © Kerstin Schomburg
Text:Detlev Baur, am 14. Januar 2022
„Und du bist doch ein Bergsteiger“ sagt fragend A zu B gegen Ende des Stücks. Die beiden trafen sich anfangs im Hochgebirge, zwischen Monte Rosa, Dolomiten und Matterhorn, also in einem surreal vermischten Alpenraum, begannen mit dem üblichen Bergsteiger-Smalltalk: ganze Kerle, ein wenig kindisch und äußerlich sehr selbstgewiss was ihren Körper, ihre Kraft und Selbständigkeit angeht. Doch bei beiden stimmt etwas nicht: Der eine hat seinen Helm verloren, der andere wurde zuvor vom anderen beobachtet, wie er wenig souverän ein Geröllfeld hinabrutschte. Beide sind verstohlen auf der Suche nach einem „Partner“ für ihr Bergsteigerleben, denn um nichts anderes als das ewige Auf und Ab in der zunehmend bröckelnden Natur scheint sich ihre Existenz zu drehen. Jung wollen sie sein und autonom und doch suchen sie nach einem Mitwanderer; also wollen es die beiden miteinander versuchen. Doch sind sie auch sehr vergesslich, und als C auftaucht, ein großspuriger Bergjüngling, spielt B für A keine Rolle mehr.
Männerwelt
In der von Matthias Rippert inszenierten deutschen Erstaufführung von „Monte Rosa“ am Ballhofeins des Schauspiel Hannover sind die drei Rollen tatsächlich ausschließlich mit Männern besetzt – und das ist gut so. Denn die enge Männerwelt wird im Spiel von Lukas Holzhausen, Mathias Max Hermann und Nikolai Gemel klar und zugleich nuanciert ausgestellt, wie es dem sprachlich knappen Text der Autorin Teresa Dopler entspricht. Sie konzentriert sich in dem ausschließlich dialogisch aufgebauten Stück ganz auf das Motiv des Bergsteigers und entfaltet damit gleichzeitig gekonnt ein Panorama an menschlich-männlichen Möglichkeiten: des egomanen Bezwingers der Natur, des einsamen Suchers, des Rollenspielers, des betont Unempathischen und Vergesslichen, des selbstverliebten Unreifen, des autoerotisch Verschlossenen.
Gleichnishaft wie konkret
Die Drei, vor allem die Hauptfiguren A (Holzhausen) und B (Hermann), führen innerhalb dieses Spektrums ihre Figuren nicht nur vor, sondern deuten auch die allzumenschlichen Brüche dieser Kerle an. Das führt zu einer unterhaltsamen, ja weitgehend komischen Aufführung. Die Gestalten, ihre Haltung und ihre Verkündigungen stellen eine traurig-fröhliche Spannung her, die über 90 Minuten trägt. Das Bühnenbild (Fabian Liszt) zeigt in einem Rahmen im Hochformat ein wenig naturalistisches Felsplateau, also einen recht kleinen Ausschnitt, durch den die Bergsteiger marschieren, auch auf- und absteigen, aber meist stehen. In diesem gleichnishaften Bild bewegen sich die drei so zeichenhaft wie konkret. Die Kostüme (Johanna Lakner) wirken durchaus real, auch die ausgesprochen überzeugenden bodenständig-schweizerischen Töne des Schweizers Holzhausen und die österreichischen Hochnäsigkeiten des geborenen Wieners Gemel grundieren die skurrile alpine Welt von „Monte Rosa“ mit einer Prise Realismus.
Öffnung am Ende
Am Ende kommen A und B – C wurde Opfer eines Steinschlags – wieder zusammen. Sie beschreiben in der Erinnerung (!) an das erste Treffen die Schwächen der Bergsteiger-Performance des anderen und sind doch nicht angewidert voneinander. Das könnte so etwas wie Liebe sein. Bildnishaft und zugleich konkret wird diese neue Ehrlichkeit deutlich, wenn mit dem Helm auch die jugendliche Kraft vorgaukelnde Perücke vom Schopf gelüftet wird. Ein sehr feines kleines Verwirrspiel geht damit zu Ende. Eigentlich möchte man der Inszenierung die große Bühne wünschen, zumal das Bühnen-Bild nicht wirklich die Intimität des Ballhof nutzt. Aber ob in Hannover derzeit der Sinn nach vertraktem Alpinismus steht? Die Autorin Teres Dopler hat mit „Monte Rosa“ ein wertvolles Stück geschrieben, die deutsche Erstaufführung in Hannover wird dem in allen Belangen gerecht.