Foto: die apokalyptischen tänzerin*nen in "Wunderland" am Stuttgarter Theater Rampe © Dominique Brewing
Text:Manfred Jahnke, am 4. Dezember 2021
Ein grüner Bühnenboden läuft in einer dreiteiligen Halfpipe aus, hinter der viele grüne Topfpflanzen stehen. An den Seiten stehen jeweils zwei grüngekleidete Sänger und Sängerinnen. Vorne rechts hocken drei junge Frauen in schwarzen Overalls: eine auf einem kleinen Fahrrad, eine auf einem Roller, die dritte sitzt auf einem Skateboard. Später darf eine von ihnen soufflieren, die anderen beim Umbau helfen. Wirklich spielen dürfen nur die drei Akteure, die in bunten Grundkostümen agieren (Bühne und Kostüme: Johana Gómez): „die apokalyptischen tänzerin*nen“ Mona Louisa-Melinka Hempel, Jasmin Schädler und Calendal. Sie machen alles, außer singen. Das überlassen sie dem Rohrer-Lied-Ensemble, dirigiert von der als Mary Poppins verkleideten Viktoriia Vitrenko (Komposition: Sara Glojnaric), die in er ersten Reihe der Zuschauertribüne des Theaters Rampe sitzt.
Erstmalig arbeitet sich das Ensemble in ihrer Geschichte an einem durchgängigen Text ab: „Wunderland“ von Mugetha Gachago spielt mit Motiven aus „Alice im Wunderland“ von Lewis Caroll. Alice, erfolgreiche Influencerin, wird von den Eltern ins Bett gebracht (auf der oberen Kante der Halfpipe). Im Schlaf rutscht sie hinab, wacht bei der weißen Königin im Wunderland auf. Sowohl sie als auch die rote Königin suchen nach der „Blume des Lebens“, die in einer Höhle mit lauter Grünpflanzen in Töpfen lebt. Auf der Bühne liegen lauter Geldscheine (und klar singt der Chor „money, money, money“). Wer nämlich diese Blume besitzt, kann das Leben im Wunderland kontrollieren. Aber diese Pflanze im Plastikblumentopf entspricht eher einer materialistischen Vision, denn einer idealistischen Konstruktion: Sie rühmt sich gerade ihren eigenen Rekord eingestellt zu haben: Sie hat 13 Burger verschlungen.
Mehr Schein als Sinn
In „Wunderland“ werden alte Märchenmotive zu Aktionen in einer virtuellen, sinnentleerten Medienwelt, die durch die Entwertung aller Werte gekennzeichnet wird. Statt sich allerdings ernsthaft auf dieses wichtige Thema einzulassen, werden die Handlungen parodistisch gesetzt und im Spiel zu reinem Trash. Da Hempel, Schädler und Calendal alle Rollen des Stücks abwechselnd erzählen, sind schnelle Verwandlungen angesagt. Wie im „klassischen“ Erzähltheater werden Kostümteile wie Schleier oder Reifrock ständig ausgetauscht. Wenn auch am Anfang die einzelnen Figuren und ihre Ausstattung vorgestellt werden, verliert das Publikum am Ende den Überblick, wer denn im Augenblick wen darstellt. Hinzukommt, dass die Wechsel den Spielfluss unterbrechen, was trotz der großen Spielfreude des Ensembles das Timing ausbremst. Da hätte der Inszenierung ein „Auge von außen“ gutgetan.
Das trifft auch für die Entscheidung der Gruppe zu, eine Darstellungsweise zu wählen, die Spielmethoden des alten Laientheaters groß zu karikieren versucht, in ausholenden Gesten und in den Stimmen. Das kann nur gutgehen, wenn das Timing stimmt und das Ensemble Stimmtechniken beherrscht. Spielfreude und Spaß am Klamauk können diese Defizite nicht aufheben, zumal wenn unklar bleibt, was eigentlich erzählt werden soll: Am Ende erwacht die Influencerin Alice und alles war nur ein Traum. „Nichts ist, wie es scheint“, soll nach dem Willen der Gruppe die Botschaft sein. So steht es auch im Programmflyer: „Gut ist mindestens genau so viel böse, und manche Dinge stehen einfach Kopf, zumindest im Verhältnis zu unserer Realität – denn in WUNDERLAND ist Autofahren etwas richtig Gutes.“ So what?