Foto: "Jeeps" an den Münchner Kammerspielen © Armin Smailovic
Text:Anne Fritsch, am 22. November 2021
Ach, tut das gut. Während draußen der Corona-Wahnsinn, die Inzidenzzahl, die Hospitalisierungsrate und die Dunkelziffer toben und der nächste Theater-(Teil-)Lockdown in Bayern nur noch wenige Tage entfernt ist, darf man sich in den Münchner Kammerspielen an einem der letzten Abende in Vollbesetzung bei 2G im Publikum noch einmal richtig gut amüsieren. Die Regisseurin und Autorin Nora Abdel-Maksoud bringt endlich ihr Stück „Jeeps“ zur Uraufführung, eine jener Produktionen, die aufgrund vorangegangener Lockdowns schon einige Zeit auf dem Buckel haben, bevor sie endlich auf die Bühne dürfen. In diesem Fall gab es schon eine digitale Sneak Preview. Im Januar streamten die Kammerspiele eine Leseprobe, die ahnen ließ, dass das ein Spaß werden wird.
Adieu, Eierstock-Lotterie
Abdel-Maksoud, die ein großes Talent hat, gesellschaftliche Fragen, gerne solche der Gleichberechtigung und der Gerechtigkeit, in pointenstarke Komödien zu packen, nimmt sich diesmal dem Thema Erben an. Und statt moralisierend zu fragen, ob es denn nun gerecht sei, dass die „Eierstock-Lotterie“ darüber entscheidet, wer welche Startchancen im Leben hat, geht sie gleich einen Schritt weiter: Es gab eine Erbrechtsreform (was für ein Wort!), nach der es keine biologischen Erben mehr gibt. Vielmehr geht das Erbe der Verstorbenen in eine Lostrommel, aus der nun jede und jeder das große Los ziehen kann. Passenderweise findet eben diese Erb-Lotterie im Arbeitsamt statt, so dass man hier tatsächlich mal mehr rausholen kann als die Erhöhung des Hartz-4-Regelsatzes um ein paar Euro. Wie wäre es stattdessen mit einer Keksfabrik? Oder zumindest einer Wohnung am Bonner Platz?
In der Welt nach der Reform, die Stefan Merki und Eva Bay in Conférencier-Manier vorstellen, geht es hoch her im Amt. In der einen Halle finden sich die Enterbten, auf der anderen Seite die Kinder der „Opferwürste“, wie die Bedürftigen amtsintern gerne genannt werden. Sie nehmen weniger Platz weg als ihre Eltern, lassen sich auf den Schalenstühlen stapeln, drum sollen sie künftig die Amtsgänge erledigen. Vier Personen zählt das Stück, das sich um Political Correctness erfrischend wenig schert und in dem der Mensch vor allem einer mit eigenen Interessen ist. O Erbe mio. Da ist Armin, der laut eigener Aussage das Jobcenter leitet, sich als „seelischen Wasserbüffel“ bezeichnet, im Grunde aber eine ganz andere, weiche Seite hinter Tolle, Goldkettchen und Penis-Witzen verbirgt. Stefan Merki spielt ihn als Chamäleon, ein bisschen Elvis, ein bisschen Saul Goodman. Sein Kollege oder Untergebener (da gehen die Meinungen auseinander) Gabor hat 13 Jahre lang auf seinen Mercedes G 400 gespart, reagiert empfindlich auf die dauernden Penis-Witze und liebt Dienst nach Vorschrift. Weil er gesichtsblind ist, gilt er als unbestechlich und wurde zum Verantwortlichen für die „Losvergabe ohne Ansehen der Person“ ernannt. Vincent Redetzki trägt einen beigen Cordanzug und spielt einen, den man gerne in den Arm nehmen würde, so hart prasselt das Leben manchmal auf ihn ein. Auf der Innenseite seines Jackets sind all die Spickzettel mit Formfehlern und Fotos von Leuten, die er kennen sollte, angebracht. Irgendwann hängen sie ihm wie ein schlaffer Papierschwanz zwischen den Beinen herunter.
Perfektes Timing
Zu diesen beiden Helden des Amts gesellen sich nun Maude, Autorin von Schundromanen und „Hartz-4-Empfängerin im Langzeitbezug“, die gerne eine eigene Schlange ohne Wartezeit im Jobcenter hätte und unter einer Art Tourette-Syndrom leidet. Scheinbar unkontrolliert ruft Eva Bay immer wieder wie ein Mantra „in deiner Unterhose“ in die Dialoge und entlarvt so das ganze Amtsleben als einzigen Peniswitz. Und dann ist da noch Silke, Erbin und Gründerin des Start-Ups „Laptops in Lederhosen“, das Computerhüllen im Trachtendesign vertreibt. Von ihrem Vater sollte sie zwei Wohnungen und ein Bootshaus erben, als „reich“ würde sie sich nicht bezeichnen. Von der Reform hält sie nichts. Sie will ihr Erbe zurück, notfalls mit Gewalt. Gro Swantje Kohlhof springt grandios zwischen Trauer, Verzweiflung und Amoklauf und wieder zurück.
Abdel-Maksoud lässt diese vier Charaktere, begleitet vom Musiker Enik, auf der leeren Vorderbühne aufeinanderprallen und den ganzen Wahnsinn des Erbens und des Armseins in einem fulminanten und sehr witzigen Ritt durch verschiedene Zeitebenen eskalieren. Die Geschichte ist weder stringent noch vollkommen logisch. Macht aber gar nichts. „Jeeps“ springt aus Szenen heraus und wieder hinein, aus der Rückblende in die Gegenwart, aus dem Rollenspiel in den Kommentar. Das Stück ist das Kondensat einer neoliberalen Gesellschaft. Eine perfekt getimte und schnelle Screwball-Komödie in abstrusen Bildern. An Boulderwänden und in Foodtrucks entfächert die Autorin die Aspekte einer großen Ungleichverteilung. Ob die Lotterie denn nun die Lösung wäre? Gewiss ist das wahrlich nicht.