Aber Unzufriedenheit herrscht in dieser slapstickartigen Meta-Inszenierung auch bei anderen vor, insbesondere bei den Frauenfiguren: So fordert Hamlets Mutter in einschlägigen Posen, endlich als Milf wahrgenommen zu werden und ihre sexuelle Freiheit im ersehnten Gangbang zu verwirklichen. Von Wut über ihre Rollenfixierung überwältigt ist indessen die von Marielle Layher verkörperte Ophelia. Zwar mag sich der gänzlich anklagende Monolog, der in Artikulation und Zorn an Shylocks Anklage der ignoranten Christen aus Shakespeares „Der Kaufmann in Venedig“ erinnert, nicht passend in das ansonsten stark groteske Stück fügen, gleichwohl verhandelt er aktuelle Fragen der Theaterkultur: Wie viel Machtungleichheit und -missbrauch prägen das deutsche Schauspiel? Und wie viel geschlechtspolitische Altlasten in kanonischen Werken sollte man heute textkritisch aushandeln? Dass Ophelia entgegen ihres dramatisch vorgetragenen Wunsches, nicht sterben zu wollen, am Schluss ertränkt wird, manifestiert indessen erneut die patriarchale Logik des Theaterbetriebs und klassischer Literatur.
Plakative aber nötige Kritik
Obgleich dieser Abend mit vielen Bildern und mit einem humoristischen Feuerwerk aufwartet, bleibt jedoch Skepsis. Denn Shakespeares Tragödie eine chauvinistische Grundierung zu attestieren und dies innerhalb einer Bearbeitung zu tun, die mit Brechts Verfremdungseffekten alle Register der Dekonstruktion und Zerlegung von Stereotypen zieht, mag aus gegenwärtiger Perspektive wohlfeil sein. Es ist doch ein Leichtes von unserem Standpunkt aus den Künstlern früherer Jahrhunderte mangelnde Aufklärung vorzuwerfen. Oder um es negativ zu sagen: Plakativer geht es gar nicht.
Fällt also der Text, der der aktuellen dramaturgischen Untugend zur bloßen Ironisierung kanonischer Texte anheimfällt, nicht gerade originell aus, überzeugt zumindest das umwerfende Spiel der AkteurInnen. Selten erlebt man eine derartige Verve, wie sie Morten Burian demonstriert. Besonders hervorzuheben ist eine Szene, in der er den allzu ernsten Geist der Deutschen auseinandernimmt und verschroben Bruno Ganz‘ Hitlerrolle parodiert. Seine Kraft und Vielfältigkeit im Ausdruck sind mitreißend. Dasselbe gilt für die mürrische Marielle Layher. Keine Frauenrechtsaktivistin hätte vehementer und eindringlicher das Los von Darstellerinnen auf den Bühnen thematisieren können.
Wer folglich Shakespeare in Darmstadt sehen will, für den dürfte diese Realisierung wie ein einziger Klimbim anmuten. Weder erfährt er Neues, noch Hellsichtiges in Bezug auf die Vorlage. Wegen der selbstreflexiven Auseinandersetzung des Theaters mit seinen verkrusteten und misogynen Strukturen lohnt sich ein Besuch aber allemal. Geboten wird in dieser demaskierenden Schau nämlich bedeutend mehr Sein als Schein.