Yosemeh Adjei (Cäsar) und Ralitsa Railinova (Cleopatra)

Barockoper im Malersaal

Georg Friedrich Händel: Julius Cäsar

Theater:Oper Wuppertal, Premiere:03.10.2021Regie:Karin Kotzbauer-BodeMusikalische Leitung:Clemens Flick

Während sich die Festivals und Theater allmählich von den Folgen der Pandemie erholen (und hoffen, dass das Infektionsgeschehen keine erneute Verschärfung der Regeln erzwingt), muss das Wuppertaler Opernhaus die nächste Naturgewalt verkraften: Im Juli trat die Wupper über die Ufer, zwei Millionen Liter Wasser flossen ins Opernhaus, die Technik der Unterbühne ist völlig zerstört, der Schaden durch die Katastrophe beläuft sich, vorsichtig geschätzt, auf etwa 10 Millionen Euro. Nun wird erst einmal in Provisorien und Ersatzspielstätten gespielt. Zur Spielzeiteröffnung gab es Händels „Julius Caesar“ im Malersaal zu sehen.

Konzertinstallation statt Inszenierung

Die Werkstätten der Wuppertaler Bühnen liegen dezentral in einem Gewerbegebiet. Autohäuser reihen sich an Supermärkte, eine große Tankstelle, eine Strip-Bar, ein Pizza-Bring-Dienst und eine einsame Bushaltestelle versprühen den spröden Charme der Vorstadt-Tristesse.  Das unscheinbare Gebäude der Werkstätten öffnet sich in einen erstaunlich geräumigen Malersaal, der nun gezwungenermaßen zur Ersatzspielstätte umfunktioniert werden musste. Ursprünglich sollte Immo Karaman Händels bekannteste Oper inszenieren, aber seine bereits fertig konzipierte Regie in aufwändiger Kulisse war ohne funktionierende Bühnentechnik nicht realisierbar. Daher präsentiert das Wuppertaler Leitungsteam die barocke Oper nun als der neuen Situation angepasste, so genannte Konzertinstallation: Das Werk wurde stark gekürzt und ergänzt durch eingeschobene Lesungen mit Texten aus Niccolò Machiavellis „Der Fürst“, die szenische Einrichtung verantwortet Karin Kotzbauer-Bode.

Anzeige

Um nicht eine „normale“ Theatersituation nur schlecht nachzustellen, lässt die Regie sich ganz auf den Raum ein. Um aus der Not eine Tugend zu machen, bietet sie eine Rundum-Ästhetik zum Anfassen an, die lang entwöhnte Nähe wieder ermöglicht.  Das Publikum sitzt daher ebenerdig in vier verteilten Blöcken, das Orchester ist ebenfalls ebenerdig auf Abstand in der Mitte platziert, und auch das oft nur angedeutete Spiel um Macht und Liebe findet ebenerdig statt, sieht man einmal ab von zwei schmalen Gerüsten an den Seiten, die bisweilen kletternd bespielt werden.

Große Nähe, ineinander verschwimmende Worte

Die Sitzordnung des Publikums ermöglicht tatsächlich eine große Nähe zum Geschehen, ist aber noch deutlich verbesserungsfähig: Da von den jeweils fünf Stuhlreihen nur die letzte durch ein Podest erhöht ist, gibt es Sichtprobleme, auch wenn die Regie doch recht installativ, will sagen statisch bleibt, bleiben viele Dinge unsichtbar. Auch die Akustik ist nicht unproblematisch, manchmal knallen die Stimmen hart auf die nackten Wände, dann aber scheinen sie regelrecht verschluckt zu werden. Und die via Mikroport verstärkten Lesungen von Philippine Pachl bleiben teils unverständlich, weil die Akustik die Worte ineinander verschwimmen lässt. Das ist sicher alles noch besser auszutarieren.

Durch die starken Kürzungen werden einige Zusammenhänge schwer verständlich, auch die Lesungen tragen eher dazu bei, dass man das Geschehen als mehr oder weniger abstrakte Tableaus wahrnimmt, zumal Karin Kotzbauer-Bodes szenische Einrichtung eben aus Gründen der Sichtbehinderung nicht durchweg zu verfolgen ist.

Aberwitzige Tempi

Dennoch verfolgt der mit geschätzt maximal 120 Zuschauenden besetzte Saal den knapp zweistündigen Abend gebannt, am Ende gibt es helle Begeisterung für Clemens Flick am Pult des Sinfonieorchesters Wuppertal, der historisch informiert zupackt, manchmal aberwitzig eigenwillige Tempi anschlägt und einen frischen, inspirierten Händel dirigiert. Auch das insgesamt famose Ensemble kassiert Bravi, allen voran die furiose Ralitsa Ralinova als Cleopatra, gefolgt von Etienne Walchs beweglichem Countertenor als Tolomeo und Iris Marie Sojers flammendem Sesto. Der Rest des Ensembles reiht sich ein in das hohe sängerische Niveau des Abends, abgesehen von Yosemeh Adjei in der Titelrolle, der häufig schleppt und sich in den Koloraturen verhaspelt. Allerdings hätte Clemens Flick auch das Tempo etwas anpassen können, so klappert es doch oft bedenklich.

Das Publikum ist spürbar berührt, denn nach elf langen Monaten auf Streaming-Diät ist das nun endlich wieder Live-Oper. Die erheblichen Einschränkungen der Opern-Notlösung scheinen (noch) nicht ins Gewicht zu fallen.