Rockoper? Was ist das nochmal? Wir denken sofort an „Tommy“ von The Who und an „Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber, beides auch etliche Jahre alt, aber nach wie vor erfolgreich. Und Anklänge an diese beiden Ikonenwerke gibt es durchaus in „Last Paradise Lost“. Eine Rockoper ist im Prinzip ein Musical ohne Dialoge, man braucht also eine klare oder bekannte Geschichte und starke Figuren. Die Musik ist in der Regel näher bei Rock und Pop als bei der Klassik. Wenn sich beispielsweise in der Rockoper der Sologesang zum Ensemble weitet, entwickelt sich die musikalische Struktur meistens nicht, dafür verbreitert und vertieft sich der Klang, differenziert sich im Idealfall auch aus.
Solche Musik haben Günter Werno und Stephan Lill geschrieben, oft hymnisch im Ton, manchmal fast, als hätte Jim Steinman oder gar Phil Spector Barclay James Harvest produziert. Es gibt viele Anklänge an Rockmusik der 70er- und 80er-Jahre, dazu interessante Instrumentierungen, schöne Percussions- und Keyboard-Effekte und phasenweise eine hochinteressante Tempo-Dramaturgie.
Kitsch und Konflikte
Reitmeier und Kuntz haben aus Miltons Werk 24 Szenen gewonnen. Jede hat einen plausiblen, manchmal etwas schmalen dramatischen Konflikt, der, genau wie seine Lösung, über die Musik, die Bewegung von Einzelnen und Gruppen im Raum und die Bilder erzählt wird. Thomas Dörfler verwendet hierfür nur wenige Elemente, eine große, transparente Röhre für die Band und zwei kleine für Adam und Eva, dazu Vorhänge mit abstrakten und barocken Projektionen, ein paar Podeste und Seile, viel Nebel und die mal brachiale, mal wunderbar subtile Lichtsetzung von Manfred Wilking. Diese orientiert sich wie die Kostüme von Michael D. Zimmermann am Comic der 70er, an psychedelischer Motivik und vor allem am seit den 60ern progressiv Anhänger gewinnenden Fantasy-Kitsch. Das ergibt oft schöne Vintage-Effekte, ermüdet aber auch immer wieder.
Das Hauptproblem des Abends: Die Figuren tragen die Handlung nicht. Satan und der Engel, Dämonen und dienstbare Geister, Adam und Eva bleiben Typen. Weil sie von Milton als solche erfunden wurden, als Symbole mit Abstraktionspotenzial, und das Regieteam nichts dazugetan hat.
Musik und Liebe
Aber das Pfalztheater Kaiserslautern hat an diesem Abend zwei große Pfunde, mit denen sich trefflich wuchern lässt. Die musikalische Umsetzung geriet nahezu perfekt, gerade stilistisch in einer Homogenität, die dem Musical-Liebhaber den Mund offenstehen lässt. Acht Extrachoristen, zwölf Solorollen, zehn davon groß. Alle machen es großartig. Die Opernsänger und der Cast singen nicht Oper und die Musicalleute belten nicht nur auf Teufel kaum raus. Alle stufen die Musik dynamisch und beleben sie so und sie produzieren und platzieren ihre Töne natürlich, wo immer es möglich ist. Großartig die Präsenz von Satan Randy Diamond, die anhaltende Intensität von Andy Kuntz als Erzengel, die hemmungslose Energie der lokalen Musical-Legende Astrid Vosberg als Beelzebub, die stimmige Verschrobenheit von Edward R. Serban als Dämon Belial oder die himmlischen, immer geerdet servierten Töne von Monika Hügel als Engel Zephan. Und natürlich jugendfrisch, darstellungsstark, hochmusikalisch: Amber-Chiara Eul und Frank Kühfuß als Eva und Adam. Der ganzen musikalischen Gestaltung ist anzuhören, dass Günter Werno am Dirigentenpult und Vanden Plas als Klangarchitekten schon öfter hier gearbeitet haben, was übrigens ausdrücklich das Ton- und Klangdesign miteinschließt, den man auch an großen Häusern keinesfalls klarer, wärmer und derart vollkommen störungsfrei bekommt.
Das zweite Pfund ist, ganz einfach und hier besonders gut zum Thema passend: die Liebe. Alle Beteiligten scheinen das, was sie in dieser Produktion tun, bei allen konstatierten Defiziten, sehr gerne zu tun. Und diese Freude springt über ins Publikum. Und aus dem Schachbrett-vollbesetzten Auditorium kommt Liebe zurück, besonders vom jüngsten Drittel des Publikums, das aus dem Rang jubelte.
Möglichkeiten, diese gleichermaßen merkwürdige wie bestrickende Produktion zu sehen, wird es außer in Kaiserslautern auch bei den Koproduktionspartnern in Münster und Innsbruck geben.