Szene aus „Citizen Nowhere” von David Dawson

Wunderschön, doch unbefriedigend

David Dawson: Dawson

Theater:Staatsballett Berlin, Premiere:26.09.2021 (UA)

In nächster Nähe, so fern. Seit vielen Jahren lebt David Dawson, Artistic Associate beim Ballett der Dresdner Semperoper, nun schon in der deutschen Hauptstadt. Und doch war es offenbar „ein langer Weg“, schreibt Christine Theobald im Programmheft, den Briten davon „zu überzeugen, eine Kreation für das Staatsballett Berlin zu erarbeiten“. Dawson möchte ein Ensemble „sehr gut“ kennen, bevor er sich auf etwas Neues einlässt, so die Kommissarische Intendantin weiter – und das war ab Oktober 2020 auf einmal möglich. Der zweite Lockdown erschwerte ein weltweites Wirken.

„Citizen Nowhere“, ein Solo über den „Kleinen Prinzen“

„Dawson“ also, ein zweiteiliger Abend in der Deutschen Oper mit Choreografien von David Dawson. Eröffnet wird er mit „Citizen Nowhere“, einem Solo, wozu sich Dawson 2017 beim Niederländischen Nationalballett vom „Kleinen Prinzen“  inspirieren ließ. Wirklich zu sehen ist davon allerdings wenig. Nackt bis auf einen Lendenschurz, wird Olaf Kollmannsperger vielmehr konfrontiert mit einer verwirrenden Fülle von Zahlen und Buchstaben, die wie ein Wirbelsturm über eine Leinwand fegen, bevor sie sich irgendwann zu einer Art Dialog zwischen Fuchs und Schlange ordnen. Mehr Antoine de Saint-Exupéry ist da nicht, der philosophische Background bleibt eher fein kalkuliertes Dekor. Unbeirrt aber tanzt Kollmannsperger, von der Musik Szymon Brzoskas angespornt. Den suchenden Blick in weite Ferne gerichtet und gleichzeitig doch den Raum in seiner imponierenden Größe ganz auskostend, gelingt ihm ein Bravourakt, wunderschön anzuschauen in seiner etwas selbstgefälligen Ästhetik – und dennoch unbefriedigend, was die Aussagekraft betrifft.

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Göttliche Uraufführung: „Voices“

Das ist bei „Voices“, der eigentlichen Uraufführung, nicht grundsätzlich anders. Schon der hohe Kastenraum von Eno Henze ist ein Blickfang, auch weil er den Abend über unmerklich seine Farbe wechselt. Und auch das Ensemble, von Polina Semionova, Aya Okumura und Alejandro Virelles angeführt und von der Ex-Tänzerin Yumiko Takeshima aufs Aparteste gekleidet, gibt sich so göttlich, als wären sie nicht von dieser Welt.

Dabei geht in der Komposition von Max Richter hörbar um die Erklärung der Menschenrechte, so wie sie 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen proklamiert wurde. Immer wieder werden einzelne Artikel daraus verlesen, ohne dass sie groß Widerhall finden in der mehrsätzigen Musik. Dawson selbst spricht im englischen Text denn auch eher von der „Sehnsucht”, die er porträtieren wollte – und voller Sehnsucht heben sich die Tänzerinnen immer wieder auf die Spitze, als könnte das klassische Ballett mit seinem wohlgeordneten Kontext weiterhelfen. Die Arme weit geöffnet, die Hände immer wieder wie zum Kelch geformt, den Körper zurückgebogen, lassen sie dabei indes eher an eine Heilsbotschaft denken als das strikte Einfordern irgendwelcher Grundbedürfnisse.

Lediglich im „Chorale“ findet sich fast unauffällig eine Geste, die mehr aussagt über ein menschliches Miteinander als aller gleichmacherischer Tanz. Liebevoll fassen die drei Solistinnen ihre Partner an den Schultern und weisen ihnen auf wahrhaft berührende Weise den Weg. Er mag lang sein, muss aber gegangen werden.