Foto: Aisha Orazbayeva und Tim Etchells in „Heartbreaking Final“ © Nurith Wagner-Strauss
Text:Christina Kaindl-Hönig, am 24. September 2021
„Ich habe Angst. Es tut mir leid. Ich denke. Ich versuche zu denken. […] Ich singe. Ich schreie innerlich. Ich schaue auf. Ich phantasiere. […] Ich verliere den Verstand. […] Ich verliere meine Würde. […] Ich nehme Stellung. Ich explodiere. Ich löse mich auf.“ – Wie ein rauer Wind begleiten die gepressten, dunkeln Töne einer präparierten Geige das gleichförmige Sprechen zuerst einer, dann zweier, dann dreier Stimmen. Leise, mit der Agonie Vereinsamter tönen die (auf Englisch gesprochenen) Sätze wie gegenseitige Echos durch einen leeren Raum, überschneiden einander, schwellen unmerklich an und werden mit den Pizzicati einer zweiten, nun einsetzenden Geige gleichsam zu einem sachte mäandernden Bach in einer Landschaft aus Gedanken, ehe die Sätze in Worte zerfallen, sich auflösen, nur noch einzelne „Ich“, „Ich“, „Ich“ gestammelt übrigbleiben.
Sprachmusikalische Suchbewegung
„HEARTBREAKING FINAL“ steht in weiß leuchtenden Neonlettern ebenso rätselhaft wie verheißungsvoll über einer Szenerie, in der drei Performer:innen vor Notenständern (Tim Etchells, John Rowley, Nicki Hobday) und zwei Geigerinnen (Aisha Orazbayeva und Chihiro Ono) im Verlauf von sechzig Minuten in einer sprachmusikalischen Suchbewegung dichte Assoziations- und Gefühlsräume öffnen: hoch konzentriert, ohne Kulissen, ohne Requisiten, mit einem auf Blicke reduzierten Körperspiel und im wechselseitigen Dialog mit der Musik.
Es ist die letzte Produktion der diesjährigen, auf Grund der Pandemie bis in den Frühherbst hineinreichenden Wiener Festwochen, die in Koproduktion mit Forced Entertainment im Jugendstiltheater am Steinhof zur Uraufführung gelangte. Tim Etchells, Mitbegründer der stilprägenden, britischen Performancegruppe, und die 1985 in Kasachstan geborene Geigerin und Komponistin Aisha Orazbayeva, mit der Etchells seit vielen Jahren zusammenarbeitet, entwickelten gemeinsam das Konzept für „Heartbreaking Final“. Es basiert auf teils komponiertem, teils im Zusammenspiel mit den Performer:innen frei improvisiertem Klangmaterial, einer Geräuschmusik, die in der Konfrontation mit dem sogartigen Text Tim Etchells‘ aus dem Moment heraus entsteht, diesem antwortet, ihm entgegnet, ihn fortschreibt oder eigene Wege geht.
Der Text, den Etchells selbst in Szene setzte, entpuppt sich als eine Art Bewusstseinsstrom aus fragmentierten Gedanken, Gefühlen, Alltagsbeobachtungen und Assoziationen: bruchlos aneinander gereihte, kurze Ich-Sätze, Sätze wie Beschwörungen, die in mehrfacher Wiederholung scheinbar die Zeit dehnen, Auflistungen, die innere Bilder hervorrufen von leeren Straßen, leeren Zügen, leeren Plätzen, überfüllten Räumen. Dazwischen ein Aufbäumen gegen den „Horror, der dir als normal verkauft wird“ und ein Innehalten – „fließt, meine Tränen, ihr unglücklichen Ströme“.
Das Unsagbare hörbar machen
Dabei entsteht keine Erzählung, sondern die Innenschau eines in unserer überfordernden Gegenwart um Identität ringenden Menschen, bedrängt, verwirrt und verloren bis zum Stammeln: Indem sich die Syntax der Sprache im fein austarierten Trio der Sprecher:innen – unisono, gegenläufig oder einzeln -– auflöst und die nunmehr frei flotierenden, mehrdeutigen Bedeutungsklänge einzelner Worte das Unsagbare hörbar machen. Begleitet von nervös schabenden Geräuschen der Geigen, in die sich zunehmend einzelne, klare Klänge mischen und zarte Klopfgeräusche, die wie ein warmer Frühlingsregen die Verzweiflung mildern in Anbetracht einer aus den Fugen geratenen Welt.
Am Ende kulminiert diese präzise-subtil rhythmisierte Sprachmusik aus fünf vollkommen gleichberechtigt, hoch konzentriert auf einander hörenden Stimmen in einem immer stärker werdenden Pulsieren. Durch die kunstvolle Entgrenzung sprachlich-musikalischer Repräsentation wandelt sich die anfängliche Vereinzelung in ein Miteinander lebendiger Sinnlichkeit, ehe der letzte Satz, „dein Herz bricht“, in einzelne Worte zerfällt und mit einem leisen Geigenklang verlischt. Ein herzzerreißendes Finale, unsentimental und frei von Pathos, in dem sich gelungene sprachmusikalische Kommunikation als Utopie sozialen Miteinanders realisiert.