Szene aus in "Breaking the Waves"

Bis zum bitteren Ende

Missy Mazzoli: Breaking the Waves

Theater:Theater St. Gallen, Premiere:18.09.2021 (DE)Vorlage:Breaking the WavesAutor(in) der Vorlage:Lars von TrierRegie:Melly StillMusikalische Leitung:Modestas PitrenasKomponist(in): Missy Mazzoli

Finster dreinblickende Männer in schwarzen Mänteln und eine Frau, die ganz in weiß gekleidet vergeblich versucht, dagegen anzustrahlen: Die junge Bess McNeill steht kurz vor ihrer Hochzeit mit dem Norweger Jan. Doch die schottische Isle of Skye mit ihren calvinistischen Bewohnern ist ein streng-religiöses Umfeld, in dem es keine großen Emotionen wie die ihren geben soll. Nicht mal nach der Hochzeit des turtelnden Liebespaares gibt es Glocken, die festlich läuten könnten, denn es gibt schlicht keine an der Kirche.

Ruhe und Macht des Meeres

Starr und bedrückend ist das Leben der Bess. Das wird in der europäischen Erstaufführung, die gleichzeitig das europäische Regiedebüt von Melly Still ist, am St. Gallener Theater von Miss Mazzolis Oper „Breaking the Waves” bereits mit den ersten Takten aus dem Orchestergraben spürbar. Die Streicher bohren sich einem in den höchsten Lagen immer wieder in Ohren und Magen und die drohenden Pauken erinner in an- und abschwellender Lautstärke regelmäßig an zorniges Donnergrollen. Das einzige, das hier Leichtigkeit vermittelt, ist das Wasser, das von einem länglichen flachen Becken am Boden auf eine bühnenlange Leinwand gespiegelt wird – eine besonders kreative Idee, wie das Meer vor der schottischen Küste ins Theater gebracht werden kann.

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Bess (von Vuvu Mpofu unvergesslich intensiv dargestellt) verliert ihren Jan (nicht weniger eindrücklich gespielt von Robin Adams) fast an diese Küste. Von einem Unfall auf der Bohrinsel, auf der er arbeitet, kehrt er fast vollständig gelähmt zurück. Seine junge Braut macht sich Vorwürfe. Immerhin hatte sie gerade zu Gott gebetet, er müsse nie wieder rausfahren, sondern könne für immer bei ihr bleiben. Das Unheil nimmt seinen quälenden Lauf: Jan ermutigt Bess, mit anderen Männern zu schlafen, jetzt, da er ihr kein erfülltes Eheleben mehr bieten kann. Er begründet seinen Wunsch auch damit, dass sie ihm davon erzählen könne. Es werde ihn am Leben halten, die Geschichten über erfüllte Liebesnächte zu hören.

Glocken aus dem Jenseits

Verzweifelt setzt Bess seinen Wunsch schließlich in die Tat um, doch ihre Aktivitäten bleiben der Gemeinde nicht verborgen. Die junge Frau wird aus der Kirche ausgeschlossen. Aber sie lässt sich nicht abhalten, ist überzeugt, Jan mit noch extremeren sexuellen Manövern mit anderen Männern helfen zu können. Schließlich muss sie dafür selbst mit ihrem Leben bezahlen: Auf einem Frachtschiff wird sie vergewaltigt und stirbt an ihren Verletzungen. Zurück bleibt Jan, der – inzwischen genesen – seine tote Frau schließlich aus den Fängen der Gemeinde, die sie als Sünderin straft und in der Hölle schmoren sehen will, befreit und in der wilden See bestattet. Kaum trauen will Jan schließlich seinen Ohren, als er aus der Ferne Glockenläuten hört. Jenes, welches er und seine Frau am Hochzeitstag so vermisst hatten. Ist am Ende also doch alles gut in dieser düsteren Oper?

Musik des Mitleidens

Missy Mazzoli verleiht dem Stoff, der 1996 von Lars von Trier verfilmt wurde, eine starke, weniger melodiöse Tonsprache, die mit ihren wiederkehrenden Motiven durchaus an einen Film-Soundtrack erinnert. Sowohl harmonische Zwischentöne als auch ein solches Ende wird der Zuhörer allerdings vergeblich suchen. Sich übereinanderlegende, versetzt gespielte und reibende Glissandi in den Streichern sind eher eines dieser Motive, die im Gedächtnis bleiben und so wirken, als würde sich das drohende Fadenkreuz um die einsame, unglückliche Bess immer enger ziehen. Bis ihr die Luft für ein erfülltes Leben schließlich ganz genommen wird.

Der Zuschauer leidet durch diese Musik einmal mehr mit Bess. Auf die Frage, ob es denn immer noch schlimmer kommen kann, folgt ein ständiges „Ja“. Unterstrichen wird dies umso mehr durch die düstere Stimmung, die vom Bühnenbild ausgeht. Bis auf das gespiegelte Wasser und drei Tänzerinnen, die immer wieder Bess’ Gefühlsleben mit ihren mal überbordenden, mal kantigen Bewegungen zusätzlichen Ausdruck verleihen, ist die Welt, in der sich die Hauptfigur bewegt schwarz.

Intensiv, aber überzeugend

Vergeblich sucht das Publikum nach einer plausiblen Moral in dieser dunklen, verklemmten Welt der Bess, in der die vor allem als naives Sexobjekt dargestellte Frau sich für ihren Mann opfern muss. Manch einem Zuschauer ist der Stoff von „Breaking the Waves“ offenbar zu intensiv. Es sind einige Plätze zu sehen, die nach der Pause leer bleiben. Nein, „Breaking the Waves“ verspricht keinen Abend voller Leichtigkeit, die (Mit-)Leidensfähigkeit des Publikums wird hier vielmehr stark auf die Probe gestellt. In St. Gallen ist das Stück dennoch einen Besuch wert, nicht zuletzt aufgrund eines rundum starken Ensembles, das die Schwere dieses Stoffes ohne jegliche Abstriche herüberzubringen vermag.