Die nunmehr 80minütige „L’Apocalypse Arabe“ hat den Gestus eines Oratoriums. Das Ganze lebt von der Melange aus Orchesterklang samt sparsamem solistischen Gesang und einem gleichsam musikalischen chorischen Sprechgesang, der in seinem eloquenten Pathos durchaus mit der Musik gleichsam um den Vorrang der Wirkung zu ringen scheint. Dass die Sonne in minimalistischer Wiederholungsbeharrlichkeit die Hauptrolle in den Texten spielt, das wird, jenseits jeder Sprachbarriere, allemal klar. Dass es um eine Anklage der Katastrophe, die für eine ganze Weltgegend unumgänglich scheint, geht, macht das betroffen klagende Pathos vor allem des mit antiker Wucht agierenden fünfstimmigen Chores klar.
Wie im Vorgriff auf ihre Unsterblichkeit spricht die greise Autorin zu Beginn selbst im Video vom Bühnenhimmel herab zu ihren Hörern. Direkt darunter sind die Musiker des Ensemble Modern und ihr Dirigent Ilan Volkov kreisrund im Zentrum der Halle platziert und werden von den Zuhörern in konzentrischen Reihen umringt. An den Wänden dahinter stehen sich ein riesiger Kreis und ein Quadrat wie die Abstraktionen von Sonne und Dunkelheit gegenüber.
Die davor liegenden schmalen Spielflächen werden durch Laufstege verbunden. So können die Choristinnen und Thomas Oliemans in der Rolle des Zeugen ihre Positionen im Raum immer wieder neu finden und sich auch an der Seite effektvoll vor rostigen Metallschilden platzieren, um ihre Wortkaskaden in den Raum zu schleudern. Das macht – obwohl nicht helfend untertitelt – allein durch die bewusst ausgestellte Eloquenz des Pathos gewaltigen Eindruck und imaginiert auch ohne Wortverständlichkeit im Detail das grundsätzlich von weither kommende Bedrohliche eines Verhängnisses, dessen gegenwärtige Erscheinungsform durch die in der Höhe eingeblendeten Videos von den Zerstörungen in Beirut seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges 1975 benannt werden.
Wesentlich für die Intensität dieser Kunst- (und Rezeptions-)Anstrengung bleibt Samir Odeh-Taminis Einsatz des Orchesters. Das bezieht seine suggestive Wirkung sowohl aus dem dramatisch kalkulierenden Wechsel zwischen raunendem Klangteppich und eruptiven Staccati-Ausbrüchen als auch aus der Faszination, die das bewusste Changieren zwischen fremdartig und vertraut wirkendem Orchesterklang entfaltet. Schade, dass man sich nicht wenigstens zu englischen Untertiteln oder wenigstens einer Inhaltsangabe im Programmheft entschließen konnte.
In der Halle mit der Anmutung eines Industriebaus auf dem durchgestylten Gelände im Schatten des vor kurzem fertiggestellten Gehry-Towers passte also so gut wie alles zusammen. Da mag man die Veranstalter auch nicht für die extremen Raumtemperaturen (und die aktiven Mücken) verantwortlich machen. Allerdings konnte es einem dann doch die Sprache verschlagen, als nach der Vorstellung kurz vor Mitternacht ein opulentes Feuerwerk im Park davor abgefackelt wurde. Mit einer Knallerei, den weithin leuchtenden Fassadenkletterern, einem Mann mit feuerspeiendem Rad auf dem Rücken und schließlich mit den Rauchwolken, die den Turm einhüllten. In der Korrespondenz mit den Bildern aus Beirut, die gerade im Saal als Menetekel einer drohenden Apokalypse ihre Wirkung entfaltet hatten, wirkte diese Spaßversion als Zugabe einfach geschmacklos.