Es war zwar ursprünglich nicht so geplant, die Verschiebung der Uraufführung um ein Jahr ergab sich aber durch den Ausfall des Festspieljahrgangs 2020, so dass einen Tag nach seinem szenisch verunglückten „Tristan“ (siehe die Kritik von Joachim Lange, Anm. d. Red.) schon wieder Simon Stone als Regisseur am Werk war. Diesmal hatte er offensichtlich das richtige Stück für seine Qualitäten vor sich. Dass Stone ein zweietagiges Bühnenhaus auf der (gut dosiert eingesetzten Drehbühne) bespielen kann, gehört spätestens seit seiner Basler Überschreibung von Tschechows „Drei Schwestern“ zu seinen Markenzeichen. Was ihm Bühnenbildnerin Chloe Lamford gebaut hat, bietet die Räume, die es erlauben, Menschen beim Leben zuzuschauen beziehungsweise dabei, wie sie nach und nach erstarren, als eine zehn Jahre zurückliegende Katastrophe, die man so konsequent wie erfolglos verdrängen und vergessen will, durch einen Zufall wieder hochkommt.
Es geht in der Geschichte der finnischen Autorin Sofi Oksanen um ein Schulmassaker, dessen Verlauf und Folgen auf zwei Zeitebenen in den fünf Akten in 105 Minuten zu einem Opernpsychothriller verwoben werden. Das finnische Originallibretto hat Aleksi Barrière mit englischen, tschechischen, rumänischen, französischen, schwedischen, deutschen, spanischen und griechischen Passagen multilingual aufgerüstet. Es geht um die Hochzeit eines finnischen Bräutigams (Markus Nykänen) mit seiner aus Rumänien stammenden Braut (Lilian Farahani). Sandrine Piau ist die französische Schwiegermutter. Auch der Finne Tuomas Pursio als ihr Mann und Vater des Bräutigams kann in seiner Muttersprache bleiben. Ebenso wie Magdalena Kožená in der Rolle der kurzfristig bei der Hochzeitsfeier eingesprungenen tschechischen Kellnerin. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als die (zu spät) bemerkt, dass sie einen Job im Haus der Eltern des Mörders ihrer Tochter Markéta angenommen hat. Die Finnin Vilma Jää setzt hier einen besonderen folklorehaften vokalen Akzent als Geist der Ermordeten, von der sich die Mutter auch nach zehn Jahren nur schwer zu lösen vermag. Natürlich lässt sich das verdrängte Familiengeheimnis vor der Braut nicht lange verbergen. Und wir erleben in kurzen, teils gesprochenen Statements eines halben Dutzends überlebender Mitschüler und der Lehrerin (Lucy Shelton) den Tag der Katastrophe als traumatisierende Erinnerung. Aber es kommt auch die Vorgeschichte zur Sprache, die vom Mobbing des späteren Amokläufers berichtet. Und am Ende kommt heraus, dass auch der Bräutigam mit seinem Bruder gemeinsam losgezogen war, aber dann doch vor dem Blutbad floh…
So wie der packende Opernthriller „Innocence“ in Aix-en-Provence auf die Bühne gebracht wurde, ist das ein denkbar guter Start für eine Opernnovität!