Foto: "(R)Evolution" am Metropoltheater © Jean-Marc Turmes
Text:Anne Fritsch, am 4. Juli 2021
Er sei trans, gesteht Ricky seinem Partner Stefan, der das mit Fassung trägt. Natürlich sei es eine Umstellung und er war auch noch nie mit einer Frau zusammen, aber er werde das schon hinkriegen. Nein, widerspricht Ricky, nicht transsexuell, er sei „transhuman“, wolle sich in Daten in einer Cloud verwandeln, so unsterblich werden. – Es ist eine gespenstische Zukunft, in die Yael Ronen und Dimitrij Schaad das Publikum mit ihrem Stück „(R)Evolution“ entführen. Und sie ist gerade mal 20 Jahre von uns entfernt, im Jahr 2040. Die Inspiration haben sie sich beim Bestseller-Autor Yuval Noah Harari geholt, genauer gesagt bei seinen „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“. In einem überwältigend futuristischen Raum von Wolfgang Menardi hat Ronen die Uraufführung vor einem guten Jahr am Hamburger Thalia Theater inszeniert, kurz vor dem ersten Lockdown. Schaad, der an der Münchner Theaterakademie August Everding Schauspiel studiert und anschließend am Metropoltheater auf der Bühne stand, spielte in der Uraufführung mit.
Schaad ist wohl auch die Verbindung zu Jochen Schölch, der das Stück seines ehemaligen Studenten nun am Metropoltheater inszeniert hat. Und es ist wirklich erstaunlich, wie gut die Transformation dieses Textes auf die kleine Bühne gelingt. Wo die Handlung in Hamburg allein durch die spacige Optik recht weit von unserer Gegenwart entfernt schien (und man sich irgendwie noch einreden konnte, das alles sei ja doch sehr weit hergeholt), stellt Schölch – wie er es gerne tut – den Text in einen relativ leeren Raum, lässt ihn sich zwischen den Menschen auf der Bühne entfalten. Und: Er verfehlt seine Wirkung nicht.
Die Fragen, mit denen Ronen und Schaad ihr Publikum konfrontieren, führen direkt in den Kern eines Dilemmas, in dem wir schon längst stecken: Bis zu welchem Punkt ist Künstliche Intelligenz eine Hilfe, ab wann eine Bedrohung? Was geschieht mit all unseren Daten, die wir freiwillig oder nicht ganz so freiwillig aus der Hand geben? Ist es ein Segen, optimierend ins menschliche Erbgut eingreifen zu können? Oder ein Fluch? Theoretische Fragen, die hier in ganz praktische Szenen überführt werden: Da sucht ein Paar die Hilfe eines Doktors, um das Wunschkind vor Erbkrankheiten zu schützen und sieht sich schließlich einem Katalog voll Angeboten gegenüber, die sie ihrem Kind kaum abschlagen können: hohe Intelligenz, Schutz vor Krankheiten, Anpassung an eine zunehmend lebensfeindliche Umwelt… Da verlieren sich der Arzt und sein Partner in der Virtualität des Cyber Sex, entfremden sich, bis der eine eben schließlich gesteht, mit seinem analogen Dasein nichts mehr anfangen zu können, sein Gehirn in den Cyberspace laden zu wollen: Komm, wir ziehen in die Cloud. Mit von der Partie immer und überall die Künstliche Intelligenz „Alecto“, eine Art Alexa 2.0, die in jedem Haushalt vorhanden ist, alles weiß, bei Heißhungerattacken auch mal den Kühlschrank versperrt und bei vermeintlicher Gefährdungslage Daten an die Sicherheitsbehörden weitergibt.
Jochen Schölch hat ein durchweg starkes Ensemble zusammengetrommelt: Vanessa Eckart, Marc-Philipp Kochendörfer, Katharina Müller-Elmau, Hubert Schedlbauer, Jakob Tögel und Mara Widmann. Ihr Spiel ist unverstellt und direkt, es holt das fiktive Jahr 2040 sehr nah an unsere Gegenwart. Thomas Flach hat einen riesigen Spiegel auf die Bühne gestellt, in dem sich das Publikum erstmal selbst betrachtet und der auf zwei großen Reifen nach oben und hinten weggedreht werden kann. So verwandelt er sich mithilfe von Drehung und Beleuchtung in verschiedene Räume und auch mal in einen Schaukasten, in dem die Evolution des Menschen vom Neandertaler bis zur KI nachgestellt wird.
Am Ende steht Alecto wieder vor dem Spiegel, der nun durchsichtig wird, den Blick auf die dahinter stehenden Spieler freigibt. „Sapiens?“, ruft Alecto. Die Gestalten hinter der Scheibe beugen sich nach vorne, nehmen wieder die Haltung des Australopithecus ein, des Vorgängers des Homo erectus, und ziehen sich Masken über. „Ja, Alecto“, antworten sie. „Was kann ich für dich tun?“