Foto: „Wounds Are Forever (Selbstportrait als Nationaldichterin)“ mit Samuel Koch © Christian Kleiner
Text:Björn Hayer, am 24. Juni 2021
Fleisch, triefend, Fleisch aus dem Inneren, zerfetztes Fleisch, das gerade noch am Leib hängen bleibt. Damit konfrontiert Marie Bues unmittelbar ihr Publikum in der Uraufführung von Sivan Ben Yishais „Wounds Are Forever (Selbstportrait als Nationaldichterin)“ am Nationaltheater Mannheim, entstanden aus einer Koproduktion mit dem Stuttgarter Theater Rampe. Denn es sind soldatische Figuren, die ihre zahlreichen Wunden – als Teil eines mit allerlei Verletzungen versehenen Ganzkörperanzugs (Kostüme: Moran Sanderovich) – durch die Dekaden getragen haben. Sie (unter anderem Tala Al-Deen, Patrick Schnicke, Nicolas Fethi Türksever, Sarah Tastrau) begleiten eine Schriftstellerin auf einer verdichteten Reise in die brutale Vergangenheit der Menschheit. Ausgehend vom Jahr 2014 bildet die erste Station der in Jerusalem aufgewachsenen Autorin die Zeit des Holocaust. Die historische Tour de Force führt sie ferner über Partisanenkämpfe bis hin zum Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Viele gewaltsame Auseinandersetzungen muss sie, im Text auf einer deutschen Schäferhündin Reitende, durchleiden, keine wird sie allerdings mundtot machen.
Auch wenn man es bei diesem blutrünstigen Sujet kaum glauben mag, ist das Stück mit reichlich absurdem Humor und Wortwitz angereichert. Zwischen den Versuchen, „eine fehlerfreie Gesellschaft zu etablieren“ oder ein ganz neues Widerstandstheater zu schaffen, findet sich Komik zum Beispiel in den auf den weißen Boden projizierten Videos, in denen Sivan Ben Yishai ihre Eltern parodiert. Nicht minder verspielt muten das tanzende High-Laufen der Schauspieler*innen nach einer Methamphetamin-Dosis sowie eine 19-stündige Selbstheilung nach einem eigentlich tödlichen Angriff an. Ja, die Schriftstellerin ist genauso wie das Ensemble bemüht, alle gängigen Klischees zu sprengen. So betreibt sie weder einen einseitigen Opferkult, noch spart sie an scharfzüngiger Kritik an der Gaza-Politik ihres Heimatlandes. Und so passt es auch, dass die Inszenierung von Anfang an auf eine Polyphonie setzt. Mal sprechen die Akteur*innen im Chor, mal beherrscht eine mit immer wieder archaischen Gesängen sich einmischende Klezmerin (Rona Geffen) die Szene am seitlichen DJ-Pult.
Den Mittelpunkt stellt der die Protagonistin verkörpernde Samuel Koch dar, der, gebunden an den Rollstuhl, als Symbolfigur des Überlebens fungiert. Er repräsentiert die Selbstermächtigung der geschundenen Autorin. Damit sie all die Krisen durchstehen konnte, erwies ihr das Schreiben samt seiner Möglichkeiten zur Anklage und Flucht gleichermaßen einen guten Dienst. Es hält einen Ort des Reflektierens bereit und findet seine Bühnenmetapher in einer großen Spiegelwand im Hintergrund. In ihr zeichnet sich wohl auch die Hauptbotschaft des Werks ab: Krieg und Zerstörung persistieren durch alle Zeiten hindurch.
Zwar gelingt es der Regie mittels einer Mixtur aus Piano und Forte, aus nachdenklichen und schrillen Szenen, „Wounds Are Forever (Selbstportrait als Nationaldichterin)“ zu einer gewissen Dynamik zu verhelfen. Gleichwohl läuft sich der Text als solcher rasch leer. Die zirkulären Gewaltbegegnungen lassen wenig gedankliche oder formale Variationen zu. Sowohl die Heldin als auch das Publikum müssen letztlich darin verharren. Es bleibt eben das Fleisch und der Schweiß und das Blut. Der Mensch ist Körper und die Bühne schlichtweg nur eine Bühne.