Spannend wird es immer, wenn sie Wagners Weg verlassen. Wenn Erda etwa in der ersten Szene auftaucht, die Rheintöchter beschimpft, ihnen Verantwortung zuweist und dann mit ihnen singt, einen rockig-archaischen, existenziellen Schrei-Chor, den intensivsten Moment des Abends. Manuela Alphons gelingt, neben Florian Langes Alberich, die zweite wirklich bemerkenswerte Figur des Abends. Ihre Urmutter ist ein ungnädiger, fanatischer Apostel der Mäßigung, also ein Widerspruch in sich. Sie verkörpert nicht Natur, sondern eine in die Jahre gekommene Kultur und Zivilisation, die sich selbst vergessen hat. In ihren Zeilen sind Zaimoglu und Senkel am Puls der Zeit und Alphons nimmt die Vorlage klug auf.
Andere Figuren werden nicht so beschenkt, was aber von starken Bildern und guten Schauspielern abgefedert wird. Thomas Wittmann und besonders Andreas Grothgar sind prägnante Riesen, Fricka – hier vielleicht noch unsympathischer als bei Wagner – wirft in Gestalt von Judith Bohle ihre Pointen lässig muskulös aus, als gelte es einen Diskus zu schleudern, André Kaczmarczyk ist ein angenehm leiser (momentweise zu) virtuoser Loge.
Roger Vontobel erzählt mit Hilfe von zwei vertikalen Videowänden klar und kleinteilig, sodass die Stärken des Textes genauso zutage treten wie seine Längen. An den Rheintöchtern ist er gescheitert. Die kommen zu Beginn in silbernen langen Kleidern und blonden Mähnen daher, quasi uniformiert als Walküren im Verführungsmodus. Aber wer würde sich von ihnen verführen lassen. Sie strahlen nicht. Sie interessieren uns nicht. Nach dem Verlust des Goldes ziehen sie kleidsames Schwarz drüber. (Die Kostüme von Ellen Hofmann sind fast durchgängig mäßig inspirierter Opern-Trash). Im zweiten Teil sind die drei Damen dann als Background-Chor tätig, meistens unverständlich. Hier und da ist auch „wigalaweia“ dabei wie bei Wagner. Sein Tarnhelm-Motiv wird genauso totgesungen, wie das Auftrittsmotiv der Riesen von der Band totgespielt. Auch die Wotan-Figur stimmt nicht. Florian Claudius Steffens geht das Ganze eine Spur zu leichtgewichtig an. Seine Einäugigkeit wird nicht erklärt oder produktiv gemacht. Sie bleibt mythisches Emblem und Dekoration. Seine viel stärker als bei Wagner ausgeprägten Skrupel, was den Missbrauch seiner Macht angeht, glauben wir nicht, auch mangels Fallhöhe.
Stärker sind die Bilder von Ansgar Prüwer, etwa das in Form von drei Wrackteilen den Platz strukturierende Militärflugzeug und das Spiel mit Vorhängen und Fassaden. Am stärksten an Vontobels Inszenierung ist die Erfindung zweier neuer Protagonisten. Das Rheingold ist gegenwärtig wie nie, visualisiert als acht gülden gekleidete Kinder undJugendliche, die auf Rollschuhen ihre Kreise drehen und sich immer um den zusammenziehen, der sie ruft. Die andere Hauptfigur ist – das Theater, besser: der Theaterbau. Das 50 Jahre alte Schauspielhaus ist ein phantastisches Walhall, auch wenn es nie so genannrt wird. Aber es steht da, kraftvoll und elegant. Man glaubt sofort, dass ein Gott, ein Herrscher, ein Politiker, ein Intendant es haben will. Als „Elfenbeintower“ wird es von Wotan launig bezeichnet. Ständig fallen Formulierungen wie „Dieser Palast gleicht einer Zwingfeste“. Wer muss da nicht an die Vorgänge denken, die genau dieses Theater in den letzten Monaten immer wieder durch die Feuilletons geschleift haben? Mit diesen wird auf der Open-Air-Bühne natürlich nicht explizit umgegangen. Aber sie scheinen auf, man glaubt, Problembewusstsein und Galgenhumor zu spüren. Vielleicht ist das so, vielleicht steht es „nur“ im Text. Aber geschwiegen wird nicht. Das Theater ist wieder da.