Foto: Hanna Binder, Thomas Frank und Nicolas Streit (v.l.) - das großartige Ensemble von "Fight Club Fantasy" © Bettina Frenzel
Text:Andreas Falentin, am 17. Februar 2021
Eigentlich der einzige positive Aspekt, den man als Theaterjournalist der andauernden Pandemie abgewinnen kann – und man soll ja immer nach dem Positiven suchen -, eröffnet sich durch die zunehmende und notwendige Verlegung der Theaterspielpläne in den digitalen Raum: Man kommt dahin, wo man sonst nie hinkommt. Wien beispielsweise ist weit weg von der Kölner Redaktion der DEUTSCHEN BÜHNE. Und wenn man sich dann doch mal auf den Weg macht, geht es um eine „bedeutende“ Premiere an einem großen Theater. An ein Haus wie das Kosmos Theater im 7. Bezirk der Stadt gelangt der auswärtige Journalist folglich eigentlich nie, obwohl er des Öfteren ausgiebig den Spielplan studiert hat. und immer dachte: „Hier muss ich eigentlich mal hin.“ Und das nicht nur, weil das Theater inhaltlich nach einer klaren Setzung arbeitet, sich schwerpunktmäßig mit Gender-Fragen befasst, was ja aktuell an Relevanz kaum zu überbieten ist. Dazu kommen ambitionierte Stoffauswahl und Zusammenarbeit mit hochprofessionell arbeitenden freien Gruppen.
wirgehenschonmalvor, ein Kollektiv um den Regisseur Matthias Köhler, etwa hat am Kosmos Theater eine Trilogie zum Thema toxische Männlichkeit produziert, deren letzter Teil „Fight Club Fantasy“ pandemiebedingt in einen „Theater-Film-Hybrid“ transformiert wurde. Das Ergebnis wirkt keinen Moment wie eine Ersatz- oder gar Verlegenheitslösung. Die filmischen Mittel werden von Köhler und Kameramann und Cutter Jan Zischka souverän gehandhabt, inklusive des stilsicheren und produktiven Einsatzes von Zwischentiteln. Die drei ausgezeichneten Schauspieler halten ihre Gesichter durchlässig und flirten dann und wann sogar mit der Kamera. Der Raum von Thomas Garvie ist neutral gehalten – leere Tribüne plus bestuhlter Zuschauerraum -, verändert sich aber ständig, geradezu unmerklich. Oft bekommt man die Schnitte nicht einmal mit, obwohl ihre Frequenz den Rhythmus der Aufführung bestimmt, gemeinsam mit der eigenwilligen, mit Songs und Zitaten angereicherten Musik von Eva Jantschitsch und die trashig opulenten Kostüme von Ran Chai Bar-zvi.
Am Anfang ist einer alleine da (Nicolas Streit) und erzählt sein Elend, sein Gelebtwerden duch den Job, der ihm, auch durch das viele Reisen, den Schlaf raubt. Sein Arzt erkennt kein Krankheitsbild, rät zu einer Hodenkrebs-Selbsthilfegruppe. Und mit anderen reden zu können, hilft dem namenlosen Helden genauso, wie zu sehen, dass es anderen viel schlechter geht. Bis die Simulantin Marla (Hanna Binder) zu den Therapiegruppen stößt, aus ganz ähnlichen Gründen.
Die Versuchsanordnung ist bekannt. „Fight Club“ von Chuck Pahlaniuk ist ein 1996 erschienener Erfolgsroman, der drei Jahre später von David Fincher mit Edward Norton, Brad Pitt und Helena Bonham-Carter verfilmt wurde, ohne viel Erfolg an den Kinokassen, aber mit Kultfilmstatus durch die DVD-Veröffentlichung. Der Namenlose lernt Tyler Durden (Thomas Frank) kennen, man zieht zusammen, quält sich, gründet den Fight Club, wo sich männerbündisch geprügelt wird, und konkurriert um die Frau. Die Pointe: Beide Männer sind eins. Wir haben die Geschichte einer Persönlichkeitsspaltung erlebt, die das Leben unseres Helden endgültig zugrunde richtet.
Die Wiener Aufführung erzählt das klug, die Textfassung von Matthias Köhler und der Dramaturgin Anna Laner orientiert sich am Roman, ignoriert den Film nicht und wird so zur prächtigen Vorlage für 80 Minuten genau brennendes Theater auf schauspielerischem Stratosphären-Niveau. Dem dreiköpfigen Ensemble glauben wir alles, jede Haltung, jede Lüge, jede Pose, jede Note (es wird wenig, aber hin- und mitreißend gesungen).
Und die toxische Männlichkeit? Schwimmt so mit. Der Ausgangspunkt des Elends sind Stress und Einsamkeit, was nur bedingt geschlechterspezifisch ist. Der Trieb-Abfluss in ein Gewaltbiotop ist es natürlich schon, genauso wie die Idee, dass man sich als Individuum nur spüren kann, wenn man Schmerzen empfindet und Schmerz zufügt. Bei Matthias Köhlers Umgang mit dem Stoff geht es dennoch eher um Mensch als um Mann, um entfremdetes Leben, psychische Einengung, die sich Bahn bricht. Die Ursachen hierfür liegen nicht in erster Linie in überkommenen Rollenmodellen, sondern eher in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen begründet. Das ist eine haltungsstarke, und sicher eigenwillige Lesart des Romans, die aber blendend ins Pandemie-Jahr 2021 passt.
Und, noch einmal sei es gesagt, in der Umsetzung, in der Verschränkung von theatralischen und filmischen Mitteln, von Konzentration und Bewegung, von Rhythmus und Ausdruck, wenige vergleiche zu scheuen hat. Wenn wieder Publikum zugelassen ist, in Wien, möchte ich definitiv mal im 7. Bezirk Theater schauen. Und sei es auf Urlaub.
Noch bis 20. Februar hier zu streamen.