Musikalisch dagegen zeigt sich Simon Rattle allen vordergründigen Effekten abgeneigt. Er veranlasst die Staatskapelle zu einem wunderbar konturenklaren, in irisierenden Farben erstrahlenden Musizieren und gewinnt die durchaus mächtig auftrumpfenden Höhepunkte nicht aus dem Effekt, sondern aus der Struktur. Das hat wirklich Klasse! Dass der Chor manchmal nachklappert, mag seiner Verteilung auf Parkett und Ränge geschuldet sein. Königin Corona fordert ihren Tribut, sicher auch in der über Strecken unverbindlich wirkenden Personenführung. Das Sängerensemble ist großartig. Camilla Nylund ist eine hell timbrierte, jugendliche Titelheldin mit schlanker, gleichwohl dramatisch tragender Stimme. Evelyn Herlitzius zeigt die Küsterin mit expressiv lodernder, aber differenziert geführter Stimme nicht als Monster, sondern als gebrochene Seele. Der kraftvoll-herbe Laca von Stuart Skelton hat nach einigen forcierten Drückern zu Beginn neben großem Ausdruck auch viel Einfühlsamkeit. Ladislav Elgr wirkt sowohl vokal wie auch darstellerisch immer mal wieder outriert, gibt der Figur aber eine markante Kontur. Und auch die Nebenrollen sind fast durchweg exzellent besetzt.
Die Fernsehübertragung verstärkte durch ihre Vorliebe für Close-Ups und unruhigen Schnitte leider noch die Überdeutlichkeit von Michielottos Regieeinfällen (die Video-Regie verrät die 3sat-Homepage leider nicht). Musikalisch aber dürfte die Übertragung vor allem in München Freude ausgelöst haben, denn dort tritt Simon Rattle 2023 sein Amt als Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters an.