Foto: Samira und Stefan Wenzel in „The Fatal Marksman/Der Freischütz“. © Dana Ersing
Text:Ute Grundmann, am 24. Januar 2021
„Weißt Du, wer Kuno war?“ Mit raunender Märchenstimme fragt der Mann direkt in die Kamera. In den kommenden 60 Minuten wird er erzählen, was es mit seinem Ururur…großvater auf sich hatte, dem Bösen aus Carl Maria von Webers „Freischütz“. Die Farm, um die sich alles drehen wird, hat der Mann als kleines Papphäuschen bei sich. Dass man hier keine gediegene Opernaufführung erleben wird, machen Auftakt und Titel sofort klar: „The Fatal Marksman“, eine gestreamte, englischsprachige Performance des Westflügels Leipzig.
„Kann ich mir noch’n Gin-Tonic machen?“, fragt einer der Zuschauer, die sich in der Zoomkonferenz erst mal beschnuppern können. Dann geht es hinein in Lehmann und Wenzels unheilige Märchenwelt, deren Titel „Der verhängnisvoll gute Schütze“ ahnen lässt: Hier wird Friedrich Kinds Libretto durch den Wolf gedreht und mit Texten unter anderem von Burroughs gewürzt.
Ein schmales Podest, Gitarre und Drums – mehr brauchen Samira (im weißen Kleidchen à la Agathe) und Stefan Wenzel (im Räuberzivil) erst mal nicht, später werden unzählige Figuren und Figürchen dazukommen. „Forrest, Hunting, Farm“ sind die Zentralworte des kurzen Abends, der auch mal Pidgin English, vor allem aber eine skurrile Bilderflut bietet.
Ein Hirschlein röhrt, der sagenhafte Schütze ist ein filigranes, doppelgesichtiges Papiermännchen. Geht es um „Witches“, klimpert ein buntes Kinderxylophon dazu. In diesem so gar nicht deutschen Wald kommt der Fuchs nicht, wie im „Sandmännchen“, als Nachbar vorbei, sondern frisst die Pappgans. Das Treffen von Rabe und Insekt geht auch nicht gut aus. Das Spielerpaar rüttelt respektlos an jedem Klischee, bis es wackelt oder zerbricht und läßt natürlich den „Hit“ der Oper nicht aus: „Wir winden dir den Jungfernkranz“. Doch der klingt hier eher wie Kranzzzz und Webers Melodie wird synkopiert, gerappt, verdreht: schönste Comedy, nur böser!
Die Grundzüge der auch nicht gerade linearen „Freischütz“-Handlung zu kennen, hilft allerdings ungemein. Zwar werden im Westflügel keine Freikugeln feierlich gegossen, aber als Christbaumkugel verschluckt. Schatten verschieben und überlagern sich, die Wolfsschlucht ist mit Blitz und Donner gruseliger als in jeder Oper und jede Menge Hirsche müssen dran glauben. So viele, dass sie schließlich in eine Keksdose gekippt werden. Und wenn Samira dem Farmhäuschen Räucherkerzen aufsteckt, grient sie ihre Zuschauer voller Schadenfreude an: „You can’t smell it…“. Natürlich wird auch der entscheidende Schuss geprobt, wie Tells Apfelschuss, Ziel ist allerdings ein Hirsch, was sonst.
Das alles kommt zielgerichtet, präzise, mit Spiel- und Spottlust, Ulk und Umsicht daher und in einem Tempo, dass die Kamera mehr als einmal scharf gestellt werden muss. Von 27 Teilnehmern/Zuschauern kamen 22 mit dem „Marksman“ ins Ziel und waren very amused.