Normal bleiben kann in dieser Situation niemand. Nicht einmal die Sängerin der Christiane Roßbach, die nach Hause zu ihren Kindern muss – und doch an diesen Ort gebannt bleibt. Eine wunderbare Szene hat sie, wenn sie, als die Welt noch normal erscheint, am Klavier steht, der Pianist (Klaus von Heydenaber) ihr in immer neuen Wiederholungen den Einsatz gibt – und sie ihn verpasst… Am Ende dann ist ihre Arie zu hören, die alle befreit und den Ausgang über die Hinterbühne finden lässt. War es der verpasste Einsatz, der diese Welt durcheinanderwirbelte? Zumindest ist diese Figur robust, wird zwar in die Abgründe, die sich auftun, miteinbezogen, aber es bleibt immer eine Spur Distanz im Spiel der Roßbach. Neben den genannten haben auch Therese Dörr, Amina Merai, Gábor Biedermann oder Valentin Richter starke Auftritte; so wird Viktor Bodós „Würgeengel“ zum großen Schauspielertheater.
Aber Bodó inszeniert nicht nur sein Ensemble. Er bindet es ein in eine starke Bewegungschoreografie (Mitarbeit: Daura Hernándes García) und lässt dazu auch die Drehbühne rotieren. Mehr noch setzt er diesen geheimnisvollen Bann filmisch in kurze Sequenzen um, die durch Black-Outs getrennt werden. Es entwickelt sich dabei ein hohes Spieltempo, in dem das Zeitgefühl verloren geht. Am Ende weiß der Zuschauer ebenso wenig wie das Ensemble, wieviel Zeit in diesem Raum vergangen ist. Den Spannungsbogen gewährleisten auch die (dramaturgisch genau gesetzten) Entgrenzungen, die diese Gesellschaft von einem lähmenden Staunen über verbale Entgleisungen bis hin zu realen Gewaltakten erlebt. Ein Höhepunkt ist dabei die Verwandlung der Versammelten in eine Schafherde, in der sich das Animalische Bahn bricht. Im roten Licht entledigt man sich der Kostüme (von Fruzsina Nagy) und fällt übereinander her (zumeist mit Maske). Songs wie „Dreams on my reality“ oder „Love hurts“ unterstreichen die Szenen.
Der Würgeengel als Figur aus der Apokalypse wird im Film nur in einer einzigen Szene gegenwärtig, in der Flügelschlag zu hören ist. Auch in der Theaterfassung erscheint der Engel nicht, kann aber als Inkarnation der Panepidemie begriffen werden, die aufzeigt, wie der Extremsituationen ausgesetzte Mensch Liebe in animalische Gewalt transformiert: Beschämt und niedergeschlagen schleichen sich am Ende geschlagene Menschen von der Bühne, tief geprägt von einem Alptraum – der keiner war, sondern Wirklichkeit.