Auch im Graben zerfasert das von Michael Wilhelmi bearbeitete und mit eigenen Kompositionen angereicherte Verdi-Material unter Anne Hinrichsens souveräner Stabführung immer wieder in Loops, grelle Verzerrungen, harmonische Verrückungen und minimalistische Partikel, bevor es immer wieder zurück in die Verdi-Spur einrastet. Das klingt über weite Strecken faszinierend und nur manchmal redundant, wenn die Tonspur das dramatische Geschehen ausbremst. Die puren Verdi-Passagen leiden überraschend wenig unter der ausgehungerten Besetzung, im Gegenteil, ihre dramatische Substanz und ihre theatrale Vitalität kommen sogar umso plastischer zum Vorschein.
Auch den Plot von Verdis „Rigoletto“ hat das Team von Regisseurin Nadja Loschky stark eingedampft und verzerrt. Der Herzog kommt hier nicht als Tenor-Star auf die Bühne, sondern stumm in Gestalt des charismatischen, hochgewachsenen Tänzers, Schauspielers und Musicaldarstellers Christopher Basile auf die Bühne. Einige Phrasen der berühmten Arien des Herzogs werden teils geifernd von den Höflingen angestimmt, teils scheppert Carusos Tenor aus einem alten Grammophon. Verdis Gesangspartien schrumpfen auf etwa jeweils ein Drittel ihres Umfangs ein, einige Filetstücke bleiben glücklicherweise unangetastet und verdichten sich zu den Höhepunkten des Abends: Gildas große „Caro nome“-Arie, oder auch Rigolettos Hass-Ausbruch „Cortigiani, vil razza, dannata“. Evgueniy Alexiev singt die Titelrolle mit hell timbrierten, manchmal etwas fahlem Bariton, beglaubigt aber das schillernde Rollenkonzept des Narren, der irritierenderweise zu keiner Zeit sympathisch wird, mit jeder Faser. Veronika Lee singt eine zarte, glockenhelle Gilda, bei den Nebenrollen ragt Moon Soo Parks markant sonorer Sparafucile heraus.
Teilweise übernehmen Holzbläser die Gesangs-Passagen aus den großen Ensembles, den Duetten zwischen Gilda und ihrem Vater oder dem berühmten Quartett. Stellenweise schmerzt das, weil die raffiniert arrangierten Verdi-pur-Passagen Hunger auf mehr von diesen transparenten Klängen machen, teilweise ziehen sich auch die von Stefan Imholz hoch expressiv gestalteten Sprechpassagen des Rigoletto-Alter-Ego zu sehr in die Länge, aber insgesamt fasziniert der Abend durch seinen kühnen Zugriff, Nadja Loschkys kraftvoll intensive Personenregie und die kühne musikalische Dekonstruktion dieses Kernstücks des Repertoires, das auf diese Weise sein enormes Talent zum Kammerstück beweist.