Der neue Intendant des Theaters für Niedersachsen, Oliver Graf, hat sich zum Einstand eine „Räuber“-Trilogie in Oper, Schauspiel und Tanz überlegt, auch das ist eine gute Idee. Sie finden alle in dem abstrakten Holzbalkengerüst statt, das Belén Montoliú entworfen hat, eine Mischung aus ruinösem Palast und stilisiertem Wald, der nach ihrer Aussage vom Hambacher Forst inspiriert ist. Da wären wir auch schon beim aktuellen gesellschaftlichen Anspruch des Stücks, den der Intendant in seiner Premierenrede formulierte. Zumindest in der Operninszenierung fand der sich nun aber überhaupt nicht wieder.
Das liegt zum einen schon an dem Libretto, für das sich Mercadante kurz vor der Pariser Uraufführung 1836 entscheiden musste, weil der bestellte Text ausblieb. Es setzt erst im vierten Akt Schillers ein, als der durch Intrigen aus dem Haus getriebene „Räuber“ Karl, der hier Ermano heißt, zum Schloss zurückkehrt, wo ihn Bruder Franz (hier Corrado) ebenso für tot hat erklären lassen wie den Vater Massimiliano. Im Gegensatz zu Schiller steht bei Mercadante das Fräulein Amelia, nicht die Weltanschauung im Mittelpunkt des Interesses. Um sie haben sich die Brüder entzweit. Beide bekennen in ihren Seelenarien, dass sie um ihretwillen selbst auf den Thron verzichten würden. Das macht zumindest Corrado sehr viel menschlicher und weniger dämonisch als bei Schiller.
Regisseur Manuel Schmitt lässt ihn trotzdem gleich zu Beginn einen Plüschhasen ausweiden, um die Innereien in Ermanos Urne zu verfüllen. Dort findet sie später Amelia, die sich weigert, an dessen Tod zu glauben. In dem Transparent „Das Wahre hält Gericht“ erschöpft sich allerdings Schmitts gesellschaftlicher Ansatz bei dieser Familientragödie. Den Chor der namensgebenden Briganti lässt er in Kostümen weiterer Schiller-Figuren auftreten, die angeblich alle für den Willen zur Freiheit stehen. Aber das bügelt Schillers Intentionen ganz schön glatt. Da erscheinen nun also Wilhelm Tell, Maria Stuart, die Jungfrau von Orleans und Luise mit der vergifteten Limonade wie beim Kostümfest, unabhängig davon, für welche Idee von Freiheit (oder sogar das Gegenteil) sie stehen.
Diese Ausflucht ins Theaterhistorische wird dem Anarchistenhaufen der Räuber mit ihren auch nicht nur menschenfreundlichen Gesinnungen kaum gerecht. Noch dazu lässt Schmitt auch noch Schiller selbst durch die Inszenierung hetzen, teils als schriebe er die Szenen gerade, die da gesungen werden. Und als am Ende Ermano, der den Vater aus dem Verlies gerettet und Corrados Machenschaften entlarvt hat, auf Amelia verzichten und sich wieder zur Bande bekennen muss, sticht er doch tatsächlich den Dichter ab, als wäre der für die grauenvollen Weltläufte verantwortlich. Also so geht gesellschaftsrelevantes Drama gewiss nicht.
Da bewies Schmitt in der Personenführung auf Abstand mehr Fingerspitzengefühl. Die Gesten stehen in der Luft, als hätte ein Traum sie auseinandergerissen: Der Sohn legt die Hand auf die imaginären Schultern des Vaters, der Vater auf der anderen Bühnenseite greift über seine Schulter nach dieser imaginären Hand, da wird die Zärtlichkeit auf Distanz sogar noch spürbarer. Ähnlich wechseln Medaillons zauberhaft von Hand zu Hand, indem sie bei der einen Person verschwinden und die andere sie hervorzieht.
Musikalisch hat das Werk Frische, Sturm und Drang. Da vibrieren die Geigen und heult die Windmaschine, wenn Gewitter durch den Wald braust. Noch die Nachtstimmung vorm dritten Akt ist mit Pauken und Becken recht unruhig. Wo die Räuber feiern oder die Geliebten sich wiedersehen, klingeln Flöten und Schlagwerk wie in süditalienischen Volkstänzen. Wie immer im Belcanto muss man sich daran gewöhnen, dass der Dreiertakt auch traurigen Szenen unterliegt wie Massimilianos Erinnerungen. Passender finden wir ihn bei Ermanos lyrischer Liebesarie für Amelia. Insgesamt weist Mercadante mit Duetten und Ensembles und dem durchkomponierten zweiten Akt auf Verdi voraus.
Insbesondere Ermano wird geradezu dramatisch beansprucht. Yohan Kim bringt dafür einen robusten Tenor mit, der sich in der ersten Arie zwar merkwürdige Kopftöne in der Höhe leistet und manches stemmt, dann aber doch zunehmend ausgeglichener klingt, dabei dem Ton Fülle und Schmelz und manchmal etwas Schluchzen gibt. Die starken Gefühlsumschwünge werden glaubhaft. Mit einem wunderbar geschmeidigen, groß aufgehenden Bariton empfiehlt sich Zachary Bruce Wilson als Corrado, der so als Liebender und Verzweifelter charakterisiert wird. Heftige Koloraturen hat Mercadante vor allem Amelia vorbehalten, die Robyn Allegra Parton leichtperlend absolviert. Ihr Sopran ist allerdings dauerhaft in sich bewegt, so dass auch die lyrischeren Melodien und dramatischere Höhen immer etwas glöckchenhaft schillern. Ihr Gebet im dritten Akt bleibt somit stimmlich erregt, brillant geraten die Koloraturen im anschließenden Schwelgen über glückliche Tage. Eine starke Leidensarie gestaltet Uwe Tobias Hieronimi als befreiter Vater Massimiliano. Mit wagner-starkem Bassbariton gibt er dem Grafen Würde und bewältigt dabei auch die merkwürdig flotten Rhythmen Mercadantes mit viel Schwung und Strahlkraft.
So wurde es eine bemerkenswerte Begegnung mit „I Briganti“. Für den gesellschaftlichen Anspruch muss dann die neue Hildesheimer Hausregisseurin Ayla Yeginer mit dem Schauspielensemble und Schillers „Räubern“ sorgen.