Auch Schäfer und Scherpinski ästhetisieren die Gewalt der Vorlage beziehungsweise finden durch aggressiven Tanz und uniformes Sprechen eine neue Sprache für sie. Wohlüberlegt werden neue Symbole für die ins kulturelle Gedächtnis übergegangenen Bilder der Filmadaption gefunden, die in ihrer Ikonizität für künstlerische Neuinterpretationen erdrückend sein können. So wird Alex in der Folterszene an einem Rhönrad befestigt und muss Beethoven singen, eine große Geste, die gerade im Freiluftsetting ihre Symbolwirkung entfaltet.
Die Applikationen an den Kostümen – wie verlängerte Ärmel oder ein dreigliedriger, zwischen Phallus und Oktopusarmen angelegter Gürtel – dienen als coronoataugliche Strategie, Figureninteraktion herzustellen, und tragen dazu bei, Gewalt körperlich distant darzustellen. Tom Schellmanns und Swantje Silbers Requisiten und Kostüme, auf die ein russisches Strickmuster als vereinheitlichend-faschistoides Symbol gedruckt ist, sind in ihrer Gesamtästhetik schlüssig und eine angenehme Abweichung von naheliegender Punk-Ästhetik. Das schreiende Rot der Kostüme und das grelle gesichtsverfremdende Make-Up fügen ein karnevaleskes und gleichzeitig klassisches Element hinzu.
Die Schauspieler interagieren oft von verschiedenen Ebenen aus und sprechen nicht miteinander, sondern ins Publikum. Trotzdem verliert man nicht den Bezug zum Stoff, was in der überzeugenden darstellerischen Leistung und dem exakten Timing der Spieler begründet ist. Die Entscheidung, den Protagonisten durch fünf Schauspieler darzustellen, erweist sich als gelungene Strategie, den Facetten und Gefühlslagen von Alex gemäß der Komplexität der Vorlage gerecht zu werden. Denn hätte Alex nicht seine Vorzüge, wie Sprachwitz und Sinn für Musik, so würde eine Verurteilung viel leichter fallen.
Lediglich der Versuch, durch Zitate von JVA-Insassen im Programmheft einen aktuellen Bezug herzustellen, wirkt deplatziert und inkonsequent, da im Inszenierungsverlauf kein weiterer Bezug darauf genommen wird. Hier wurde die Möglichkeit verpasst, Zeitbezug herzustellen. Interessant wäre etwa die Frage gewesen, ob Alex‘ Geschichte zum Erfolgsnarrativ in einer neoliberalen Gesellschaft taugt, in der der Griff zu individueller Gewalt immer öfter als die einzig mögliche Ermächtigung gegen Herrschaft erscheint.