Sind es Restbestände eines früher einmal erfolgreichen Lebens, die sich als gestischer Habitus in Winnies Körper eingefräst haben? Oder manifestiert sich in ihren psychischen Kippfiguren eine borderlinige Persönlichkeit? Oder eher das depressive Unbehagen an der spätkapitalistischen Gesellschaft? Die hermeneutische Großspurigkeit metaphysischer Deutungen ist Caroline Stolz‘ Deutung ebenso fremd wie eine vereinfachende Sehnsucht nach einem ironisierten Best-ager-Realismus. Winnies psychische Landschaft ist ohne ein gesellschaftliches Außen nicht zu denken – Sarah Kane meets Alain Ehrenberg in Neuss. Das wird umso deutlicher, als die Regisseurin Becketts Hauptfigur sukzessive in den Zusammenbruch treibt. Das Klingeln des Weckers wiederholt sich mehrmals und das Erschrecken wird immer atemloser, das zwanghafte Begrüßen eines glücklichen Tages geradezu manisch. Die Gestik verliert ihren Fluss und gerät zum abrupten Zucken. Winnie spielt mit dem Revolver russisches Roulette (was zuvor auch Willie getan hat), deutet den Ausbruch einer ökologischen Katastrophe an und flüstert schließlich nur noch ein verzweifeltes „Willie, hilf mir!“. Doch in dem Maße, wie Winnie den Boden unter den Füßen verliert, gewinnt Willie umgekehrt an Haltung: Er zieht einen Anzug an, räumt die Bühne auf, schaut abschätzig auf seine Partnerin.
Auf ihren Kuss durch die Scheibe reagiert er genauso wenig wie auf ihre Rufe. Kurz vor seinem Abgang öffnet er den Plexiglaskäfig, streichelt Winnie ohne jede Empathie über die Wange und geht ab. Winnie allerdings zieht sich nach einem kurzen Freiheits-Test wieder in ihr Refugium zurück. Caroline Stolz‘ Deutung stellt Winnies individuelles Regime der Angst ins Zentrum, das allerdings nicht psychologisch verengt wird, sondern auf ein gesellschaftliches Substrat bezogen bleibt – ob man das nun Spätkapitalismus, Biopolitik oder Sicherheitsdenken nennt, bleibt jedem selbst überlassen.