Der ernste, konzentrierte, ehemals sakrale Raum passt auch insofern zum Spiel um „Lenz“, als Religion und Kirche in dem Text eine zentrale Rolle spielen. Regisseur (und Intendant) Ulrich Greb folgt Büchners Werk weitgehend textgetreu, eingestreut sind – auch zur Gliederung der Beschreibung von der zunehmenden Verzweiflung des Dichters Lenz, aber ebenso zur Kontrastierung durch exakte Sprachanalyse und schließlich als historisches Bindeglied zwischen 19. und 21. Jahrhundert – eingespielte Sätze aus Ludwig Wittgensteins „Tractatus Logico Philosophicus“ vom Beginn des 20. Jahrhunderts.
„Lenz“ ist eine schonungslos exakte und dabei sehr einfühlsame, autobiographisch anmutende Beschreibung eines Verzweifelten an der Welt; auch nächtliche Eisbäder können den Verstand des jungen Mannes nicht abkühlen. Sein Leiden an der Welt ist darum so vernichtend, weil er noch an der christlichen Lehre hängt, ihr aber nicht mehr glauben kann. Die Ankettung des Solodarstellers an ein federndes Band ist nicht nur ein praktisch hilfreiches Mittel, sondern auch ein schlagendes Bild für Lenz. Roman Mucha spricht nicht nur (hinter Gesichtsschild) über Lenz, er bewegt sich auch mit ihm: hebt sich in die Lüfte, schwebt zur kongenialen akustischen Mitspielerin, kann sie jedoch angesichts des ihn zurückziehenden Bandes am Rücken nicht erreichen. Er steigt zur Brüstung empor oder sitzt wippend in der Leere; zunehmend versucht er mit weißer Kreide auf dem schwarzen Boden in Kästchen Ordnung und Spiel zu verbinden. Die Inszenierung nutzt intensiv, aber nie äußerlich die Mittel, verbindet sie dabei durchgehend mit dem Text. Mucha hält fast akrobatische Bewegung und sprachliche Durchdringung der Vorlage bemerkenswert im Gleichgewicht. Er spricht über einen leidenden Lenz, verwandelt sich nicht ihn, bildet ihn aber einfühlsam ab.
Der Textvorlage verbunden gelingen der Inszenierung subtile Verbindungslinien in unsere Gegenwart. Ohne oberflächliche Anspielungen verfolgen wir in Krisenzeiten die Krise eines freien Menschen. Die theatrale Anstalt in Moers schafft damit quantitativ minimiert, energetisch und gedanklich aber völlig überzeugend ein starkes Lebenszeichen für eine Kunst aus Körper, Stimme und Zusammenspiel von Bühnenakteuren und Publikum.