Foto: WIE ES EUCH ALGORITHMUS mit Mercy Dorcas Otieno und Dominik Dos-Reis © Schauspielhaus Bochum
Text:Konstanze Führlbeck, am 20. Mai 2020
„Short Cuts aus Bochum“ nennt das Schauspielhaus Bochum eine Reihe filmischer Miniaturen, die nach einer Idee von Dramaturgin Angela Obst als Reaktion auf die neue „Corona-Realität“ entstanden sind. Den Auftakt machte am Dienstagabend „Wie es euch Algorithmus“, eine episodenhafte Collage nach einem als Auftragsarbeit des Schauspielhauses Bochum entstandenen Text des deutsch-koreanischen Autors, Regisseurs und Filmemachers Bonn Park, die uns mit den Absurditäten der virtuellen Kontakte konfrontiert. Im Zuge der viralen Krise hat sich unser soziales Leben noch stärker in den virtuellen Raum verlagert, damit haben Algorithmen die Kontrolle übernommen. Denn viele Kontakte sind nur noch hier möglich. Aber wie?
Die fast obsessiv betriebene Selbstinszenierung in den Social Media hat uns jetzt eingeholt, überholt, hat sich über unser Leben gestülpt und krempelt es mehr und mehr um. Wie, darüber haben wir nicht mehr die Kontrolle, die hat uns die Eigengesetzlichkeit der virtuellen Welt abgenommen, wir und unsere Wahrnehmung werden zunehmend über Algorithmen gesteuert. Schein wird so zum Sein, neue Realitäten werden definiert. Ob uns das gefällt? Unwichtig. Sind unsere Begegnungen Zufall oder eigene Entscheidung? Irrelevant.
Der Countdown vor der Filmklappe läuft, ein Platz in der Stadt wird sichtbar, der Wind weht Papiere hin und her. Ein Mann und eine Frau bewegen sich in diesem real-surrealen Raum, in dieser irgendwie unwirklich anmutenden Wirklichkeit. Er wirft seine Atemschutzmaske weg, was soll sie auch in dieser nahezu menschenleeren Stadtwüste. Mercy Dorcas Otieno und Dominik Dos-Reis spielen diese verloren wirkenden Menschen, die den Eingang zur virtuellen Welt durchschreiten, den man bitte stets geschlossen halten sollte. Die verbotene Zone. In dieser virtuellen Welt kann man einen kurzen Blick auf das Leben erhaschen, wie die Werbung es dargestellt hat, früher, vor dem Tag X. Cut, Stille. Dann leise suggestive Entspannungsmusik. Und eine verrückte Welt, in der Mercy Dorcas Otieno ein Rezept erhält, wie man mit Mehl aus einer Wohnung „ein richtig leckeres Gericht macht“. Absurdes Theater virtuell. Kurzer Blick auf eine häusliche Yogasituation. Die Welt steht Kopf, was heißt hier noch „normal“? Alles verschwindet unter dem Mehlstaub der neuen Realität.
Provokation im Müllcontainer zeigt Dominik Dos-Reis. „Ihr seid alles Lügner“, ruft er. „Denn ich kenne die Wahrheit.“ Und sieht dabei aus wie in einem Post, neben einem ebenfalls ausrangierten PC. „Ich werde mich jetzt töten, damit die Lügen aufhören.“ Dabei geht die Show weiter, auch der Hinweis auf Like and Subscribe darf nicht fehlen. Und die Show geht weiter. Die Nachrichten bringen – nichts, außer von dem dummen Präsidenten aus Amerika. Und die News über den Protest der Jugendlichen, die die Altenheime angezündet haben – in der Hoffnung, dass nach dem Tod der „Besonders Gefährdeten“ alle endlich wieder raus dürfen. Der Lebenshunger einer Generation will sich Bahn brechen. Radikale Realität oder Fake News? Aber spielt das überhaupt noch eine Rolle?
Der von Johan Simons inszenierte Kurzfilm spielt mit Realitäten und Bewusstseinszuständen in kaleidoskopartigen Schlaglichtern, die alles durcheinanderwirbeln, alte Sinnbezüge zerstören und neue Konstellationen konstruieren. Dabei geht es aber nicht mehr um ein Miteinander, Coolness ist Trumpf. „Machen Sie noch was mit Mehl oder schauen Sie Serien. Und wie immer: Bleiben Sie … Dings.“ Denn die Quintessenz unseres Lebens beschreibt die Aufschrift auf der Zigarettenschachtel von Dominik Dos-Reis. „There is no normal“. Da wundert es nicht, wenn er die brennende Zigarette wie eine Fackel hinter sich wirft, in einer anarchischen Befreiungstat.
Jede Woche steht dienstags, donnerstags und samstags eine neue Miniatur auf dem Programm. Zu sehen via Youtube.