Foto: Meistern die Videoperformance gekonnt: Michael Zehentner und Peter Blum © Theater Regensburg
Text:Florian Welle, am 5. April 2020
Die ersten Proben für „Patricks Trick“ fanden noch in der analogen Welt statt. Dann kam der Corona-Shutdown, Proben- und Vorstellungsbetrieb wurden eingestellt, und das Junge Theater Regensburg begab sich kurzerhand in den Videochat, um gemeinsam mit dem Regisseur Michael Uhl an Kristo Šagors preisgekröntem, überaus humorvollen Kinder- und Jugendstück über Mut, Hilfsbereitschaft und die Frage, wie das eigentlich ist, eine Behinderung zu haben, weiterzuarbeiten. Denn Aufgeben kam nicht in Frage. Vielmehr passte man das Konzept den neuen Gegebenheiten an und entwickelte eine Online-Inszenierung, die jetzt auf dem Youtube-Kanal des Theaters ihre Premiere feierte.
Als Theaterzuschauer wird man regelmäßig mit neuen Formaten fern vom klassischen Sprechtheater konfrontiert. An ausgefallene Orte geladen, mit medial hochgerüsteten Aufführungen beglückt. Insofern sollte man die aus der Not geborenen gegenwärtigen Online-Angebote vielleicht gar nicht „nur“ bzw. „zu sehr“ als exotische Ausnahmeerscheinung ansehen. Sondern nüchterner betrachten: als eine weitere Spielform, deren Möglichkeiten, aber auch Grenzen man gerade überall auszuloten beginnt. Die einzige Frage, die dann beantwortet werden muss, ist, ob die von Regieteam und Schauspielern gefundenen Lösungen die Anforderungen des Stücks wie des neuen Mediums gleichermaßen erfüllen. Im Fall von „Patricks Trick“ kann man sagen: Sie funktionieren prima. Und das, obwohl man das Stück ja noch gar nicht im Hinblick auf eine digitale Inszenierung ausgesucht hatte. Sich über die kurzen Bild-/Tonsprünge oder vorübergehende Bildunschärfen zu mokieren, die während der 45-minütigen Online-Premiere aufgetreten sind, wäre billig, aber nicht recht. Das wird sich bei den noch kommenden drei Live-Terminen eingespielt haben.
Zugute gekommen sein dürfte Michael Uhl und seinem Team bei ihrer Umarbeitung für den Livestream sicher, dass es sich bei „Patricks Trick“ um ein Zweipersonenstück von überschaubarer Länge und, zielgruppengerecht, großer Stringenz handelt. Der elfjährige Patrick belauscht eines Abends seine Eltern. Dabei erfährt er, dass er einen Bruder bekommen wird, so wie er es sich immer gewünscht hat. Allerdings wird dieser behindert sein. Fortan beginnt Patrick, sich mit seinem noch ungeborenen Bruder zu unterhalten. Gemeinsam wollen sie herausfinden, was das für eine Krankheit ist, diese „Trisomie“, und wie er dem Bruder bei seiner Entwicklung später helfen kann. Dafür nimmt der zurückhaltende Patrick all seinen Mut zusammen und bittet Danijel, einen nicht ganz ungefährlichen kroatischen Jungen, um Hilfe. Von ihm erfährt er, wie es ist, eine fremde Sprache zu lernen. Danijel schickt Patrick auch zu seinem Boxlehrer, der ihm den Rat gibt, später „viel mit seinem Bruder zu reden“. Und niemals aufzugeben! Schließlich wendet sich Patrick noch an seine Deutschlehrerin, an eine Gemüseverkäuferin mit Handicap sowie an einen verschrobenen Professor. Dessen Weisheit, von der auch schon die Gemüseverkäuferin überzeugt war: „Man ist nicht behindert, man wird behindert.“
Peter Blum spielt den schüchternen Patrick, Michael Zehentner seinen noch ungeborenen Bruder. Letzterer schlüpft zudem ständig in die weiteren Rollen. Ist als Danijel gerade noch ganz cool, wofür ihm das Hochziehen der Lippen genügt, um sich dann in die Deutschlehrerin zu verwandeln. Dabei stützt er seinen Kopf auf den Händen ab, schlägt einen sanften Singsang an und blickt verständnisvoll in die vor ihm aufgebaute Kamera. Regisseur Uhl und Videotechniker Philipp Weber bedienen sich für die Inszenierung der aus Filmen wie „Bettgeflüster“ bekannten Split-Screen-Technik. Als Zuschauer sehen wir in der linken Bildhälfte Michael Zehentner, in der rechten Peter Blum, vor ihnen nur ein Tisch. Im Hintergrund von Blum hat man dabei richtig Kinderzimmeratmosphäre geschaffen. Da hängen Dino-Poster an der Tür, liegen Spielzeug und ein Ball im Regal. Blum im blauen und Zehentner im roten Nikki-Pullover gelingt es allein mit mimischen und wenigen gestischen Mitteln die Gedanken und Gefühle ihrer Figuren auszudrücken. Gesichtstheater! Keiner steht während der Aufführung von seinem Stuhl auf. Eine Herausforderung, die beide Jungschauspieler überzeugend meistern und die fehlende Bühne weitgehend vergessen lassen. Dafür sorgt die Split-Screen-Technik noch für ein paar schöne Momente, die im Theater nicht möglich wären. Etwa so zu tun, als könne man sich durch das vertikal getrennte Bild einfach eine Milchtüte reichen.
382 Zuschauer haben den Regensburger Youtube-Kanal zu Beginn eingeschaltet. Am Ende waren es noch 370. Ein Indiz, dass die Online-Inszenierung die Zuschauer gefesselt hat. Schließlich wäre es ja hier um ein Vielfaches leichter, die Aufführung zu verlassen als im Theater! Eine Internet-Inszenierung muss auf die direkte Interaktion zwischen Schauspielern und Publikum natürlich verzichten. Dafür finden beide auf andere Weise zueinander. Das Theater hat den Blog „Patricks Trick“ eingerichtet, wo jeder die Aufführung nicht nur kommentieren, sondern neben einem Quiz und einem selbst auszufüllenden Fragebogen auch viel spannende Hintergrundinformationen zum Stück im Allgemeinen wie zur Theaterarbeit im Speziellen finden kann.