Aber gerade als wir es uns in unseren Sitzen im Zuschauerraum bequem gemacht haben, umhüllt von diesem behaglichen Gefühl, unterhalten zu werden, bekommen wir einen Spiegel vorgehalten: Die Tänzer präsentieren sich an der Rampe im Scheinwerferlicht den Zuschauern. Sie prosten uns mit einem Weinglas zu, sehen uns direkt an, als würden sie auf etwas warten oder vielleicht auch etwas von uns erwarten. Sie suchen nach Möglichkeiten, unterhalten zu werden, machen eine Weinprobe, sprechen rhythmisch eine traditionelle schwedische Weise und versuchen es zuletzt sogar mit einer mickrigen Luftschlangenrakete wie auf einem Kindergeburtstag. Schließlich hat einer der Feiernden den rettenden Einfall und spricht ihn aus: „Lass uns mal tanzen!“
Ein besseres Datum als einen Tag innerhalb der Karnevalswoche kann es für die deutsche Erstaufführung von Alexander Ekmans „Ein Mittsommernachtstraum“ wahrscheinlich nicht geben, scheinen doch in dieser Woche viele Regeln und Gesetze aufgehoben. Kostüm und Maskierung „erlauben“ eine andere Rolle, ein anderes Verhalten und eröffnen der Vorstellung neue Wege. Der eine oder andere fragt sich vielleicht: Was wäre, wenn ich ein ganz anderes Leben führen würde?
Die Mittsommernacht ist die Nacht der Sommersonnenwende, der man traditionell eine magische Bedeutung beimaß. Insbesondere in der Natur vermutete man Magisches, wie die Existenz von Trollen und Elfen und die Heilkraft des Morgentaus.
So verkehrt sich auch in Ekmans „Ein Mittsommernachtstraum“ die fröhliche Betriebsamkeit des Tages in der Nacht in eine Welt ohne Grenzen und Gesetze: Kopflose Anzugträger und riesige sowie zwergenhafte Strohwesen betreten die Szene. Ein so langer Tisch, an dem eben noch das komplette Corps de ballet gesessen hat, kann schweben. Überdimensional große Fische senken sich vom Himmel herab und fahren auf die Bühne, die Tischdecke beginnt zu tanzen. Bäume wachsen kopfüber vom Himmel. Gefühle überschlagen sich: Aus übertriebenem Mitgefühl wird ausgelassene Freude, woraus sich Aggression entwickelt, die in anhimmelnde Begeisterung umschlägt. Schließlich wird die Dekoration als genau diese erkennbar, indem auch sie sich „entblößt“: Das Metallgestänge der Tische wird sichtbar und die Sonne zeigt sich „ausgeschaltet“ als kreisförmige Scheinwerferanordnung. Die Bühne verwandelt sich in einen Raum aus verschiedenen Ebenen, wo die Orientierung schwerfällt. Es sind die unterschiedlichen Ebenen unserer Wahrnehmung und so auch unserer Wirklichkeit, die hier räumlich sichtbar werden.
Alexander Ekmans Choreographie zeigt eine enorme Vielfalt innerhalb der Bewegungssprache: Es wird auf Stühlen sitzend getanzt, in scheinbarer Zeitlupe der Raum durchschritten und in kanonhaften Abfolgen auf Spitze getanzt. Oder Ekman lässt die Tänzerinnen und Tänzer, fast wie miteinander verschmolzen, als enge Reihe einen Tausendfüßler bilden.
Die Musiker des Asasello Quartetts und des Arisva Quartetts sind im hinteren Bereich der Bühne in das Bühnenbild integriert. Eine Sängerin (Hannah Tolf) agiert auch szenisch. Die Musik von Mikael Karlsson unterstützt die Idee dieser anderen Welt.
Was zurückbleibt von diesem Abend, ist eine besondere Energie, die vor allem durch die Szenen des Corps de ballet entsteht: Es geht eine starke Kraft von dieser jungen Kompanie aus. Die Zuschauer müssen sich fast ein bisschen zurückhalten. Manch einer oder eine hätte bestimmt gerne den Zuschauersitz verlassen, um mitzufeiern und mitzutanzen. Wer würde nicht gerne eintauchen in die Welt dieser Mittsommernacht?