Foto: Die Uraufführung von „Schwarzwasser“ mit Martin Wuttke als Joker © Matthias Horn/Burgtheater
Text:Christina Kaindl-Hönig, am 7. Februar 2020
Unscharf flimmert ein Schwarzweiß-Film über eine meterhohe Wand aus nackten Rigipsplatten. Nur schemenhaft zeichnen sich darin menschliche Silhouetten ab, die sich trotz des fehlenden Tons rasch als die Protagonisten des heimlich gefilmten Ibiza-Videos identifizieren lassen, das im Mai 2019 die österreichische Bundesregierung zu Fall gebracht hatte.
„Die Gewalt ist so verführerisch, dass wir uns ihr immer wieder hingeben müssen“, verkündet der Gorilla im grellpinken Zottelfell (Caroline Peters), der mit einer Meute von Männern in blauen Tarnanzügen und jugendlichen Demonstranten die graue Wand einschlägt. Über die staubige Schutthalde torkelt schließlich ein verzweifelt greinender Mann im Frack: Martin Wuttke als verwirrter Bürger, geschminkt mit der grotesken Clownsmaske des Jokers: „Sieben Stunden lang hat man uns reingelegt, dabei sind doch wir das Opfer!“, kreischt er.
„Schwarzwasser“, wie Kloaken genannt werden, betitelte die österreichische Literaturpreisträgerin Elfriede Jelinek ihr hochpolitisches Stück, das Robert Borgmann als Regisseur und Bühnenbildner am Akademietheater in Wien zur Uraufführung brachte. Es ist Jelineks kritische Aufarbeitung des Ibiza-Skandals, jenes inszenierten Treffens des damaligen Vizekanzlers und Bundesparteiobmanns der rechtspopulistischen FPÖ mit einer vermeintlichen russischen Oligarchin auf den Balearen, bei dem es etwa um illegale Parteienförderung und die verdeckte Übernahme der „Kronen Zeitung“ ging. Verklausuliert tauchen die Inhalte des Ibiza-Videos in „Schwarzwasser“ ebenso auf wie der Wahlkampfauftritt des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz vor Evangelikalen oder Polizeigewalt bei Demos. Indem Jelinek die politischen Ereignis-se mit Euripides‘ Tragödie „Die Bakchen“ (406 v. Chr.) und mit René Girards erhellenden Opfer- und Gewalttheorien in „Das Heilige und die Gewalt“ (1972) zu einem sinnlichen Sprachfluss verquickt, vermittelt sie auf eindringlich Weise die Verblendungsstrategien populistischer Politiker sowie die alarmierende Krise der öffentlichen Rede.
Wie immer bei Jelineks Textflächenkompositionen, in denen keine konkreten Figuren vorgegeben werden, spielt das Sprechen selbst die Hauptrolle. In präzise komponierten Gedankenverschachtelungen und assoziationsreichen Wortkaskaden kreist das Stück sogartig um das erbärmliche Bacchanal von Politikern, das schlagartig umschlägt in Gewalt: Indem Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dem persönlichen Gewinn geopfert werden. Gerade weil Jelinek auf die Repräsentation von Wirklichkeit verzichtet, gelingt es ihr umso mehr die Realität greifbar zu machen und zugleich deren Veränderbarkeit zu vermitteln.
„Was machen wir jetzt mit unserer Gewalt?“, fragt der Chor aus dem Zuschauerraum am Ende von Borgmanns fast dreieinhalb-stündiger Inszenierung. In seiner übergangslosen Nummerndramaturgie entstehen leider weder Rhythmus noch eine überzeugende Form für Jelineks hochaktuellen Text. Dem werden in dem vier-köpfigen – von einem Chor und zwei Sängerinnen unterstützten – Ensemble allein Martin Wuttke und die spielerisch ebenso glänzende Caroline Peters gerecht. Durch präzise eingesetzte Körperlichkeit und Sprachgestaltung lassen die beiden Jelineks Text in seiner Bedeutungsvielfalt doppelbödig schillern.
Wuttke vermag sogar das Sprechen selbst sinnlich zu vermitteln – grotesk, tragisch, humorvoll und mit erschreckendem Ernst. Seine Figuren, die vom rabiaten Clown über den barocken Künstler in schwarzer Pluderhose (Kostüme: Bettina Werner) bis zum depressiven Großbürger reichen, vereinen sich gleichsam mit den Schatten des Ibiza-Videos zu einer in die Zukunft reichenden Mahnung. „Schwarzwasser“ als Menetekel – eine düster-melancholische Vision einer zunehmend gewaltbereiten Gesellschaft.