"The Legend of Georgia McBride", hier mit Pius Maria Cüppers (Miss Tracy Mills) und Yascha Finn Nolting (Casey).

Als Elvis zur Drag Queen wurde

Matthew Lopez: The Legend of Georgia McBride

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:25.01.2020 (DSE)Regie:Christian Brey

Oje, jetzt ist Elvis schon wieder tot. Nicht nochmal physisch, natürlich nicht, aber eben doch irgendwie schmerzhaft, denn einer seiner vielen Stellvertreter auf Erden, der redlich bemühte „The King“-Imitator Casey aus der US-amerikanischen Provinz, hat aus marktwirtschaftlichen Gründen das Outfit und die Stimmlage gewechselt. Der verlotterte Club am Panama-Beach von Florida, in dem er in glitzernder Jumpsuit-Pelle die unverwüstlichen Oldies aus Presleys Nachlass vor ständig überschaubarer werdendem Publikum röhrte, ist beim immerwährenden Kostümfestspiel auf den Show-Trend zur Drag Queen umgestiegen. Ein kleiner Herr namens Miss Tracy, bewaffnet mit großer Glamour-Garderobe und ebensolcher Klappe, entert die Bühne für einen Beutezug durch gleißende Erinnerungen. Barbra und Cher und Edith und Madonna hat er/sie als Schwarm-Dynamik mitgebracht – und massenhaft Playback-Pröbchen. Was soll so ein Gebrauchtmusiker von der Elvis-Resterampe, der grade daheim mit familiären Krisen kämpft (Scheck geplatzt, Wohnung gekündigt, Job weg, Freundin schwanger, Pizza kalt, und dann auch noch „Hete“ – wie das Schicksal halt so spielt), denn anderes tun als hinterher ins Ungewisse zu springen. Wenn es nur so einfach wäre!

Aber wer sagt denn, dass man es sich mit den Problemen nicht auch mal schön bequem machen kann. Fragte sich der Autor. Sagte sich sein Nürnberger Regisseur. Fanden auch die Premierengäste, die seit der „Rocky Horror Show“ nicht mehr so gekreischt hatten. In der entschieden turbulenten Komödie „The Legend of Georgia McBride“ von Matthew Lopez, der in New York und London für seine Stücke schon reichlich Auszeichnungen einsammelte, aber in deutscher Sprache noch nie aufgeführt wurde, wird der dramaturgische Knoten zum Durchschlagen allenfalls am Hüpfseil gezeigt. Dabei hatte die rundliche Miss, nachdem sie ihren übernommenen Nothilfe-Partner in die Piaf-Nummer des laufenden Programms („Wer ist Piaf?“, fragt er Sekunden vor dem Auftritt) schubste, den Code-Satz für die Alternative platziert: „Drag ist Protest, Drag ist eine erhobene Faust in einem Pailletten-Handschuh.“ Davon ist allerdings nicht viel zu sehen, die Faust bleibt unten, die Pailletten blitzen auf nette Weise unverschämt. Konflikte? Alles Pailletti!

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Die Bühne von Anette Hachmann (ihr sind auch die originalgetreu nachempfundenen Star-Geschenkverpackungen zu verdanken, die mit jedem Auftritt neues „Oho!“ auslösen) ist für den ersten Moment schön absurd. Da sieht man nur dunkelste Leere und ein altmodisches Mikro, ehe das Licht blendet. Ein Seitenblick ins biedere Glück, aber vor allem die Club-Szene von hinten und von vorne auf rotierender Drehbühne mit der Katastrophen-Garderobe und dem Traumspiel-Podest. Ein riesiger Fuchs mit Laser-Augen, fast so menschenfreundlich wie der „Fuchs 8“ von George Saunders, öffnet die Vorderpfoten als Auftrittsportal, das im Minutentakt die Glamour-Größen wie fleischgewordene Videoschnipsel auswirft. Travestie-Fans und solche, die es mit diesem Abend geworden sind, haben jetzt wirklich einen guten Überblick.

Was den erstaunlich ambitionsfrei entwickelten Theatertext betrifft, läuft alles – abgesehen vom geldgeilen Club-Inhaber, den Michael Hochstrasser mit schönster Kapitalisten-Aggression in Grund und Boden brummelt – auf die Gegensatz-Paarung von Ex-Elvis und Drag Queen hinaus. Regisseur Christian Brey, ein Spezialist für den unerschrockenen Umgang mit Humor (seine Mainzer Fassung von Mel Brooks‘ „The Producers“ wird gerühmt, in Nürnberg hat er die „Komödie mit Banküberfall“ zum Kassenschlager gemacht), bringt sie geschickt in Stellung. Gegen- und miteinander, gerne auch ein bisschen schnulzig. Dabei hat der junge Yascha Finn Nolting, in einer anderen Show am gleichen Haus kürzlich zum „Spargeltarzan“ ernannt, den Vorteil von enorm ausgeprägtem Live-Talent. Das kann er als Casey in seinen „Elvis“-Nummern so fabelhaft präsentieren, dass man die folgende Playback-Show nie ganz ohne Bedauern sehen mag. Pius Maria Cüppers spielt die Kontrastfigur Miss Tracy Mills in krähender Vitalität mit dem Bosheits-Bonmot auf jeder Lippe wie aus dem Travestie-Bilderbuch – die Vernichtungspointen von Ur-Drag „Divine“ im Blick und die TV-Präsenz der Hella von Sinnen zur Durchlauferhitzung.

Ob die schwangere Ehefrau (Süheyla Ünlü) tatsächlich ein bisschen homophob ist und der verrückte Miss Tracy-Partner (Maximilian Pulst) mehr als hysterisch, solche Fragen mochte Regisseur Christian Brey nicht klären. Er ist ja kein Spielverderber und investiert lieber zur Stimmungsmache in fünf Tänzer als schrille Gogo-Girls, die zwar überflüssig sind, aber am Ende passend zum Trocken-Feuerwerk ihre gefährliche Schminke körpernah bis zum Zuschauer tragen. Was haben wir gelacht, der Nürnberger Fasching wäre gesichert. Und übrigens: Elvis lebt!