Puccinis „La rondine“ ist längst nicht so unbekannt wie oft behauptet. Trotz einiger Fallstricke bewährt sich Bruno Berger-Gorskis Inszenierung weit über der von Rolando Villazon an der Deutschen Oper Berlin 2015 hervorragend. Denn Berger-Gorski wühlt in den Psychen – zumindest während des letzten Spieldrittels. Die Fadesse des Salons, aus dem Magda sich später mit tief sitzendem Hütchen und großer Sonnenbrille auf die erotische Pirsch begibt, hat Bühnenbildner Helge Ullmann mit gezackten Wänden umgeben. Der erste Akt vergeht monoton und man versteht nur zu gut, warum Magda das Abenteuer braucht. Kostümbildnerin Françoise Raybaud zwängt Frauen in Taillen-Kleider und Männer in Sakkos, als ginge es um nichts als Couture-Fassaden. Magda ist also Lava in der Asche ihrer Umgebung, während ihre dekorativen Schicki-Freundinnen mit routinierten Operettenposen die Ödnis vergrößern, aber nicht versüßen.
Im zweiten Akt wird das anders. Da sind Bühne und Kostüme schwarzweiß, wenn sich alle Geschlechter ihre käuflichen oder für gratis willigen Gespielen suchen und das Ballettensemble des Landestheaters Eisenach in den Show-Walzer mondäne Lüsternheit legt. Choreograph Andris Plucis hatte bei den Flirt- und Balz-Attacken sicher einiges zu tun. Unter den recht statuarischen Chor (Einstudierung: Manuel Bethe) mixte Berger-Gorski belebende Charakterchargen, etwa nach dem Muster „Komische Alte sucht knackiges Frischfleisch“. Hier bläht sich der Lachsack auf und das reicht dann für den Abend. So klafft zwischen dem Blick ins Innenleben der Figuren und dem Sprung in ihre diversen Abenteuer ein Riss. Da steht die Hausfrau, Geliebte und Kokotte Magda oft regungslos, wohingegen die souverän draufgängerische und den Abend mit einem Schwung extrovertierter Bodenständigkeit rettende Regine Sturm als Zofe Lisette etwas von jenem Flair ins Stück bringt, den die meisten im Saal von einer „echten“ Operette erwarten.
Elif Aytekin ist als Magda gerade deshalb so betörend, weil sie auf der Bühne minimal älter wirkt denn als Privatperson: Sie hat zum Glück nicht die typisch cremige Puccini-Stimme. Das überlässt sie lieber dem neuen Kollegen, dem Tenor Alex Kim, der betörend jugendlichen Schmelz, aber hier noch überhaupt keine Casanova-Routine hat. Sogar im Abschleppschuppen kritzelt er als Ruggero Noten und das Liebesnest an der Riviera macht er zum Musikstudio, dessen Wände mit Partiturseiten behängt sind. Elif Aytekin siegt mit großartigem Spiel, das die plakative Exaltation der Inszenierung veredelt.
Stilkundig und brillant dazu die Meininger Hofkapelle. Dirigent Leo McFall beginnt dezent, als sei Puccini der Zwillingsbruder von Britten; dann lässt er die Leidenschaft fast penetrant wogen. So wird aus „La rondine“ eine eigentlich Puccini-untypische musikalische Geschichte: Die Walzer und Klangfarben haben etwas leicht, deshalb gekonnt Schäbiges, aus dem Momente des Begehrens und Gewährens mit Pomp herausschnellen und dann doch in einer Zärtlichkeit fluten, dass man „La rondine“ für Puccinis mit Abstand betörendstes Werk halten muss. Auf der musikalischen Seite erlebt man die schöne, dumme Liebe unwiderstehlich, während auf der Bühne viele Geldscheine und Colliers von Hand zu Hand wandern. Theoretisch ist die Regie über die Gattung Operette also bestens informiert.