Schwarz macht aus Calaf einen Künstler. Genauer einen Maler. In beklemmender Rampennähe arbeitet er an einem Alptraumbild. Vielleicht ein Tier. Eine Collage der Ängste. Dahinter ahnt man die rumorenden Chinesen (Bühne: Andra Cozzi). Menschen in permanenter Angst vor den Schrecken unverhüllter Grausamkeit. Man sieht, wie vor allem Liu mit ihm und um ihn ringt, wie sie sich vom Vater trösten lässt, der wohl mehr als nur väterliche Gefühle für sie hat. Aus dieser engen Welt, die vom funzligen Licht einer Stehlampe dem Auge mehr entzogen als enthüllt wird, flieht Calaf in die Fantasiewelt seiner Bilder. Erst hinter die Leinwand – er steht dann (praktisch ziemlich beiläufig verschenkt) einfach zwischen den dort postierten Choristen.
Dann imaginiert er eine Art Feld-Kino im Krieg der Gefühle: Aus der Versenkung tauchen im Dämmerschein eine Riesenfreitreppe mit China-Bildern in Sepia-Braun auf. Soldaten der berühmten Ton-Krieger-Armee, Bauern, Bonzen und Marionetten. Anfangs hängen die Minister Ping, Pang und Pong als kleine Marionetten an der Seite in Bereitschaft für Calafs imaginären Horortripp, schweben dann lebendig geworden über der Szene, bewegen sich schließlich wie Marionetten Turandots. Die Eisprinzessin selbst schreitet wie ein Zombie durch die Massen. Im langen weißen Kleid mit Schleppe, darunter schwarze Reiterstiefel, im Gesicht trotz Dunkelheit eine Sonnenbrille. Wenn sie eine Abspaltung von Calafs Persönlichkeit ist, wie der Regisseur erklärte, dann ist deren Personifizierung ziemlich finster. Nimmt man das ernst, dann wäre eine Vereinigung dieser Pole nur als Selbstauslöschung denkbar. Bei Schwarz schreitet diese Zombie-Herrscherin gemessen durch die diffusen Reihen auf der Tribüne wie über ein Schlachtfeld voller echter oder emotionaler Leichen und verharrt am Ende im Gegenlicht kaum noch genau erkennbar entrückt. Während der Himmel (spricht die Regenanlage auf der Bühne) die tote Liu und Calaf sich selbst beweint.
Wer die Geschichte als Quizshow im alten China – mit einem Paar im Zentrum, dessen Obsessionen für die Menschenmitwelt nur Kopfschütteln hervorrufen können – auffasst, und die Musik für einen Triumph von Pathos hält, für den ist der Psychotripp a la Schwarz durchaus ein Vorschlag zur Güte.
Gesungen wird auf durchweg glaubwürdigem Niveau. Jana Baumeisters berührende Liù muss nur bei sich selbst bleiben, um sich von Soojin Moons lodernd geisterhaftem Turandot-Zombie abzusetzen. Was beiden überzeugend gelingt. Aldo di Toro ist kein markerschütternder, aber ein durchweg höhensicherer Calaf. Dong-Won Seo ist ein zuverlässiger Timur. Julian Orlishausen (Ping), David Lee (Pang) und Michael Pegher (Pong) hängen nicht nur effektvoll in ausgefallenem Rot ihrer Kostüme (Pascal Seibicke) in den Seilen, auch die übrigen Ensemble-Mitglieder und die Chöre (Sören Eckhoff) sichern das vokale Niveau, für das Giuseppe Finzi am Pult des Staatsorchesters Darmstadt sorgt. Bei ihm hört man viel von den Abgründen hinter einer eher vermeintlichen Chinoiserie, die bei Puccini eh mehr nach einem Echo des Triumphs des Totalitären klingt, das nach seinem Tod in Europa triumphierte…
Und der Bayreuth-Test? Den gibt es nicht wirklich. Schon, weil das Puccini-Fragment kein Wagner ist. Der Mut zum entschlossenen, ganz eigenen Zugriff auf bekannt Geglaubtes, der ist jedenfalls nicht zu übersehen.