Tina Lanik, die es seit 2014 immer mehr zum Musiktheater drängt, macht sich nicht die Mühe, eine Verbindungslinie von Aristophanes zu Braunfels zu legitimieren. Ihre Definition der Vogel-Gesellschaft mit der quirlig spielfreudigen Chorakademie / Capella Minsk (Einstudierung: Olga Yanum) schafft eine Ebene über nur visueller Gefälligkeit: Vögel sind auch Menschen. Schnäbel, Flügel, Federn bleiben im Fundus. Tina Lanik kokettiert mit den Kontrasten von Schein und Sein in „Ariadne auf Naxos“ und operiert wie für eine intelligente Operette: Aus dem hellen Zuschauerraum kommen der spießige Ratefreund mit Trachtensakko und vokaler Deftigkeit (Julian Orlishausen), der intellektuelle Klemmi Hoffegut auf ‚Die Bühne ist eine Bühne ist eine Bühne‘. Schauplatz: Ein Saal mit gekennzeichneten Notausgängen. In diesen setzte Bühnenbildner Stefan Hageneier ein Podest, und darauf noch eine kleine Raumschachtel, Zwischending aus Künstlergarderobe und Kreativzelle. Die Vögel sind ein Theaterkollektiv, das sich für den Nabel der Welt hält und trotzdem immer wieder angekränkelt wird von der Ahnung, dass diese mit viel Energie selbst suggerierte Bedeutung doch größer sein könnte als der tatsächliche Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft. Eine einzige Tänzerin (Anastasiya Maryna) unterliegt im heftigen Kampf gegen den von den olympischen Göttern geschickten Sturm. Und schon ist es aus mit dem Backstage-Wunder, in dem der Chor mit Klavierauszügen durch den Raum wirft und mit Selbstgefälligkeit künstlerische Autonomie behauptet. Erst bedecken Heidi Hackls üppig schöne Abendkleid-Kreationen die dann mit rapider Gewalt implodierende Pracht poetischer Verwandlungskunst. Am Ende füllen zugeknotete Plastiksäcke den Saal, nichts erinnert an die in ihrer Dekadenz so wahrhaften Gedankentürme. Vorbei der Zauber vom „Leben der Anderen“, in dem sich Ratefreund lässig, Hoffegut aber mit Leib und Haaren verliert. Nach der Pause war der Saal leer. Visionen, Probe, Spiel und innere Wahrheit verwirbelten und vezwirbeln sich wie Braunfels‘ meisterhafte Partitur, in der Chor und Soli mit üppigen Klanggemischen verschmelzen und vergehen. Sehr gut sie alle: Adam Horvath (Zeus/Adler), Sabina von Walther (Zaunschlüpfer), James Roser (Wiedhopf, der zum Vogelkönig, hier also Theaterchef gewordene Mensch), Attila Mokus (Rabe), Giorgio Valenta (Flamingo), Svetlana Kotina (Drossel), Lauren Urquhart (Nachtigall 2).
Lothar Zagrosek, der in der Decca-Reihe Entartete Musik „Die Vögel“ 1996 eingespielt hatte, ermutigt gleich bei den ersten Akkorden die Streicher mit kräftigem Nicken zu mehr Unruhe im seidigen Sound. Das bunt aus internationalen Musikerinnen und Musikern zusammengesetzte Orchester der Erler Festspiele zeichnet sich durch einen jungen, geschmeidigen und profund bis rund ausbalancierten Klangcharakter aus. Zagrosek macht aus der mit fast überreizter Verschwendungslust instrumentierten Partitur ein echtes Festspiel: intelligenter Luxus, dessen Gefährdungen Tina Lanik menetekelnd bebildert. In der großen Liebes- und Erweckungsszene von Nachtigall und Hoffegut ziehen Bianca Tognocchi und Marlin Miller überwältigend schön alle Register: Rausch, Verletzungsrisiko und Gesang als Synthese von Sex und Metaphysik. Nur zwei Vorstellungen dieser Produktion sind zu wenig!