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Schlachtfeld Körper

Bertolt Brecht/Heiner Müller: Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer

Theater:Schauspiel Köln, Premiere:07.06.2019Regie:Oliver Frljić

Kollektive Identität ist ein kurioses Ding: Sie hüllt ihren Ursprung in Dunkel und fordert trotzdem, fraglos akzeptiert zu werden. Sie bleibt immer vage und will doch ständig beschworen sein. Die Soldateska im Kölner Schauspiel gießt erstmal kräftig den mit (Mutter-) Erde belegten Bühnenboden des Depot 2, wirft sich in Lazarettbetten (Bühne: Igor Pauška) und brüllt lauthals das Deutschlandlied. Bis sie dann im Bombenhagel, zu dem Wilhelm II. mit seinem Kriegsaufruf von 1914 den Soundtrack liefert, schier den Verstand verliert.

Oliver Frljić inszeniert Brechts gewaltiges „Fatzer“-Fragment in der Fassung von Heiner Müller. Der Titel „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ zielt zwar auf das Spannungsverhältnis von Kollektiv und Individualität, wird aber bereits durch die Rollenzuweisung konterkariert. Die Figuren wandern unablässig durch die Körper der sieben Darstellerinnen und Darsteller Yuri Englert, Benjamin Höppner, Nicolas Lehni, Seán McDonagh, Nika Mišković, Hannah Müller und Elias Reichert hindurch. Fatzer, das sind alle und keiner. Egoismus wird hier quasi im Kollektiv dialektisch durchgespielt. Wenn die Truppe vom Schlachtfeld desertiert und sich in Kaumanns Wohnung in Mülheim flüchtet, hat dessen erotisch aufgeladene Frau plötzlich ein Männerknäuel vor sich, das nur kurz einen Anflug von Begehren zeigt. Lieber knabbert es hungrig an seinen Stiefeln, kuschelt gemeinsam im Bett und macht morgens lauthals Toilette. Das Kollektiv hockt in der eigenen Wohnung, untersucht dann aber klandestin auf der Straße den Vermassungsgrad der Arbeiter hinsichtlich einer Revolution.

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Frljićs sehenswerte Inszenierung arbeitet immer wieder mit solch dialektischen Kontrapunkten, die die Szenen infrage stellen, anreichern und reiches Assoziationsmaterial bereitstellen. Wenn die Truppe Fatzer zum Fleischmarkt schickt, werden zwar Metallrohre, an denen Würste hängen, über den Betten angebracht. Doch was dort verarbeitet wird, ist das Fleisch eines Soldaten, der schreiend auf der Schlachtbank in seine verwertbaren Einzelteile zerlegt wird, nur um dann „Lili Marleen“ zu singen. Und wenn Fatzer nach seinem ersten „egoistischen“ Ausbruch bei den Fleischern beschimpft und ans Bett gefesselt wird, füttert ihn Kaumanns Frau löffelweise mit Blut – bevor er sie dann verführt.

Eines der zentralen Schlachtfelder dieses Abends ist der menschliche Körper. Er wird für den Krieg zugerichtet, ist der Ort des Begehrens, dient als Rohmaterial in der Fleischerszene. Er ist aber auch Produktionsort, wenn die Truppe nach einer Diskussion über Heimarbeit und Prostitution plötzlich in Korsage auf einem Bett steht, wild rammelt und Babypuppen zwischen den Beinen hervorploppen lässt – während sie ironisch Texte von Zetkin, Engels und Beauvoir zur Frauenfrage zitiert. Und der Zugriff des Regisseurs auf die Körper der Schauspieler ist auch nicht ohne: Sie bauen ständig Betten um, ringen miteinander, oder schmiegen sich aneinander.

Fatzers Egoismus erscheint bei Frljić vor allem als eine Frage von Rationalität und intellektueller Überheblichkeit. Wie ein arroganter Intellektueller streckt Fatzer als Soldat bereits in der ersten Szene seinen Kopf zwischen zwei Karten hervor („Dieser Punkt bedeutet Fatzer“) und verortet den Feind auf beiden Seiten der Front. Nachdem er erfolglos Fleisch zu organisieren versucht hat, analysiert er mit scharfem Blick Verarmung, Segregation und Verrohung der Gesellschaft. Schließlich kippt ein Monolog in eine (persönliche?) wütend-empörte Suada des Schauspielers Benjamin Höppner, der seinen Frust angesichts unhinterfragter Regeln und Konventionen herausschreit. Er beklagt, dass Deutschland seine Kriege aktuell nur ins Ausland verlagert habe, damit es zuhause friedlich bleiben kann. Frljićs Inszenierung, die Heiner Müllers Brecht-Rewriting auf 100 Minuten eindampft, holt diesen Krieg quasi in den gesellschaftlichen Innenraum. Nicht nur bleibt die Lazarett-Metapher während des Abends immer gegenwärtig, wobei nie klar ist, ob das Geschehen nicht doch dem Wahn einer bettlägerigen Soldateska entspringt. Verarmung, Hunger, Verwertung des Menschen, die Allgegenwart von Gewalt lassen an Hobbes‘ berühmte Formulierung vom „Krieg aller gegen alle“ denken. Dementsprechend haben am Ende alle sieben Darstellenden den Kopf in der Schlinge und hängen sich gegenseitig. Am Ende trollen sie sich als grunzende Schweineherde in einem Pferch und singen die erste Strophe des Deutschlandliedes – die Herde ist schlachtreif für den nächsten Krieg.