Das mag passen zu einem Libretto, das wenig Handlung liefert, aber eine grüblerische Vertiefung dessen, was Händel seinerseits schon behandelt hatte. Solche Vertiefung bringt bei Hyam Yared thematische Erweiterung (wenn der Unterwelt-Fährmann auftritt, folgt, man ahnte es schon, ein Exkurs zur Flüchtingsproblematik im Mittelmeer), sondern auch wohlfeile Weisheiten („Der Teufel ist tot, seit er zum Menschen wurde“ – War der Teufel denn nicht immer eine Projektion alles menschlich Teuflischen?) und Kitsch. „Er ist die Erinnerung meiner Hüften“, seufzt Clori über ihren (eingebildeten?) Liebhaber, berichtet, dass sie „seinen Abdruck in meinem Fleisch“ trage und gibt am Ende bekannt, dass sie tot sein werde „mit weit geöffneten Beinen“. Der Wahn ein sexuelles Problem?
Die Inszenierung hilft nicht weiter. Drei Häuschen hat Bühnen- und Kostümbildnerin Hannah König hingestellt als unbewohnbare Sehnsuchtsorte, weil man nicht in sie hineingelangen kann. Häusliches Leben ist wenig heimelig nach draußen verlagert, Sofas und Stühle stehen da mit dicken Schutzbezügen aus durchsichtigem Plastik, ein Tisch auch, ein Waschbecken. Clori selbst tritt in der Inszenierung von Wolfgang Nägele in vierfacher Ausführung auf, was auf Schizophrenie als Kern der wahnhaften Erkrankung hindeuten könnte. In Rosarot gesteckt treten die vier Cloris auf, eine davon weiblich, Flurina Stucki, die ihrer Rolle mit wuchtigem Sopran eine hochdramatische Anmutung gibt. Der klangschöne Tenor Matthew Peña spielt und singt neben der Clori-Vervielfachung einen sensiblen Küstenwachmann, der düstere Bass Paull-Antony Keightley einen schwarz gewandeten Unterwelt-Fährmann in dicken Gummistiefeln. Der Countertenor Guilhelm Terrail echot zart.
Der Handlungsarmut versucht Nägele mit erfindungsreicher Szene Herr zu werden: (Kunst?-)Fische werden genüsslich aufgeschnitten und die Innereien ebenso genüsslich herausgezogen, Wände werden mit italienischen Worten beschrieben (anknüpfend an Händel bleibt auch die Libretto-Erweiterung Italienisch), es fehlt auch nicht das Ganzkörperbad im Farbtopf nebst bildnerischer Betätigung anschließend in robbender Fortbewegung. Man kan sich nicht beschweren, dass zu wenig passieren würde und doch schafft es die sanfte Betriebsamkeit von Nägeles Personenführung nicht, die Magerkeit eines Stückes zu überspielen, zu dessen größten Vorzügen eine humane Dauer von gut einer Stunde gehört. Cloris Problem bleibt seltsam vage, ihre Einsamkeit angesichts einer meist mit vier Personen besetzten und sonst ziemlich vollgestellten Bühne eine Behauptung. Die soundhafte Weichheit der Musik trägt das ihre bei zur einschläfernden Wirkung der Aufführung.
Das war zu Beginn des Abends noch anders, als das kleine Ensemble aus Musikern des Orchesters der Deutschen Oper angeleitet von Christian Karlsen sprühende Funken schlug aus Händels Musik: engagiert spielend, klangschön und sprechend. Doch mit dem allmählichen Verschwinden des Originals, scheint auch das tragende Skelett dieser Aufführung zu verschwinden.