Leitplanke des Abends bildet das immer wieder aus dem Off zitierte, fiktive Tagebuch des 15-jährigen Jakob Peters (Oscar Kafsack), in dem er private Erlebnisse notiert, aber auch Zweifel am Regime äußert. Zusammen mit den gleichalten Maria, Franz, Walter und Gerti versucht er, eine Jugend im Schatten der Diktatur zu leben. Das dörfliche Leben ist allerdings weniger von Sicherheit als von Tieffliegern, Hunger und Armut geprägt. Ein mit Holzbohlen eingefasster Kartoffelacker (Bühne: Moritz Seibert), der auch als Exerzierfeld oder Boxring genutzt wird, dient als Spielfläche. Im Hintergrund kümmern ein paar schäbige Birken vor sich hin, an der Seite ein variabler Bretterverschlag. Jakob klaubt verschimmelte Kartoffeln vom Acker, seine Stiefel sind ihm zu klein. Er trifft sich mit der geliebten, Feinsender hörenden Maria (Fabiola Mon de la Fuente) in einer Scheune, wo kurz darauf der Nazischwärmer Franz der widerstrebenden Gerti (Tamina Friedrich) rührend komisch mit einer Mettwurst seine Zuneigung erklärt – sie schnappt sich aber entschlossen den unsicheren Mitläufer Walter (Tristan Witzel). Erste Liebe, erster Alkohol und der Krieg als frühes Pop-Phänomen zwischen Heldenreservoir, Coming-of-Age-Traum und Sterben – das sind die Koordinaten einer Jugend in einer Gesellschaft, die nur noch eines im Überfluss bereithält: ideologisches Geschwätz und falsche Versprechen.
Mit breitem Realismus malt die Inszenierung nicht nur dieses Leben, sondern auch die militärischen Übungen der HJ mit Franz‘ Vater als übereifrigem Parteigänger (Nima Conradt) und die lächerliche Grundausbildung durch SS-Offiziere (Lukas Maurer, Sandra Kernenbach) aus. Es wird gerobbt, geboxt, gedemütigt, dass der Bühnenboden nur so staubt. Gelegentlich wünscht man sich ein bisschen weniger Brüll- und Drill-Realismus, doch die jugendlichen Darsteller nutzen diese Szenen geschickt, um die zutiefst ambivalenten Reaktionen auf Lagerleben, Wehrsport und den allgegenwärtigen Gruppendruck auszudifferenzieren.
Im zweiten Teil nimmt der Abend eine radikale Wendung. Ist es das Wissen des jungen Autorenteams, dass Krieg auf der Bühne nicht darstellbar ist? Der Wunsch, dem aktuellen Antisemitismus einen Spiegel vorzuhalten? Oder doch ein eher am Film, als am Theater geschultes Plotverständnis? Wenn Maria Franz gesteht, dass ihr eigentlicher Name Hannah Weizmann sei, verlässt der Abend das Volkssturm-Schlachtfeld und wird zu einer Verrat- und Versteckgeschichte. Der antisemitische Franz belauscht nicht nur das Liebespaar bei seinem Geständnis, sondern denunziert es auch noch bei der SS. Jakob desertiert und versteckt sich mit Maria/Hannah in einer Jagdhütte. Die etwas pathetische Liebesgeschichte hat allerdings einen verstörenden Basso continuo: Bei aller Kriegsskepsis geht Oscar Kafsacks Jakob den Aufenthalt im Wald wie eine Fortsetzung des Krieges an; ein Abenteuer mit Versteckspiel und Heidelbeersammeln unter lebensbedrohlichen Bedingungen. Maria dagegen erstickt schier an Selbstvorwürfen und ihrer traumatischen Reaktion auf die Stiefeltritte ihres Geliebten. Ein Spannungsverhältnis, das die beiden jugendlichen Darsteller beeindruckend instrumentieren. Am Ende versucht das Duo in einer Kamikaze-Aktion, Franz‘ Vater zu zwingen, Hannahs verhafteten Onkel, den Bürgermeister (Nima Conradt) zu befreien. Dass der 100-Prozent-Nazi sich im Gegenzug einen Persilschein von der angeblich von ihm geretteten Jüdin ausstellen lässt, ist dann ein wenig zu viel des Guten und Gutgemeinten.
Auch wenn der Realismus gelegentlich etwas überdosiert daherkommt, der Plot auch mit einer Wendung weniger auskäme – was an diesem Abend überzeugt, sind die von den jungen Darstellern berührend gespielten emotionalen Zwangslagen, die Zerrissenheit, die Hoffnungen und Enttäuschungen der Jugendlichen, in denen sich Privates und verbrecherische Ideologie ständig überlagern. Ein Vorgang, der inzwischen wieder Realität zu werden droht.