Foto: "Die nötige Folter" am Staatstheater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr
Text:Anne Fritsch, am 12. Mai 2019
Ein langhaariger Typ sitzt in einem Glaskasten und notiert Zusammenhänge auf die Wände. „Lernen“ steht da, „Human“, „Folter“, „Angst“ und „Verhalten“. Im Hintergrund liegt eine narkotisierte Blondine auf einer Supermarktkasse, ein Chirurg macht sich über ihre Innereien her, unterstützt von einem Wesen mit Widderkopf in OP-Kleidung. Was hier los ist? Der Intendant des Augsburger Staatstheaters, André Bücker, inszeniert die Uraufführung von Dietmar Daths Stück „Die nötige Folter“ in der neueröffneten brechtbühne im Alten Gaswerk. Eine schöne Spielstätte mit Sichtbetonwänden in einem Industriedenkmal, nicht gerade zentral, aber beeindruckend. Ein Raum, der einlädt zu Experimenten, zur lebendigen Auseinandersetzung mit alten wie neuen Texten. Daths Stück nun ist ein solcher neuer Text, ein Auftragswerk. Es ist bereits die dritte Uraufführung eines Dath-Stücks, die Bücker inszeniert (die vorangegangenen am Nationaltheater Mannheim).
„Die nötige Folter“ spielt in einer ominösen Folterkammer. Eine Galeristin, ein Wissenschaftler und zwei Künstler werden von jenem Chirurgen und seinem Assistenten (oder seiner Assistentin?) mit Widderkopf gezwungen, sich einer Schuld zu bekennen, derer sie sich gar nicht bewusst sind. Dazu werden ihnen Sender in den Kopf implantiert, über die sie Stromschläge oder ähnliches erhalten, wenn sie das Falsche sagen, und Module, über die ihnen Angst- oder Panikhormone injiziert werden – oder auf eigenen Wunsch ein tödliches Gift, um die Torturen zu beenden. Ein perfides Kontrollsystem. Allmählich kristallisiert sich heraus, dass alles sich irgendwie um Doro dreht, ihres Zeichens (Video-) Künstlerin und tot. Irgendwer scheint nun die Verantwortung für ihren Tod bei diesen Personen zu suchen, sie sollen ihre Fehler erkennen und eingestehen. Irgendetwas zwischen Trauerarbeit und Vergangenheitsbewältigung, Schuld und Sühne könnte aus dieser Konstellation erwachsen. Tut es aber nicht. Denn dafür müssten die Figuren mehr sein als die Klischees ihrer selbst.
Dath aber belässt es in seinem Text bei Stereotypen, gegen die das Ensemble nicht ankommt und die durch die Regie zusätzlich verstärkt werden. Ohne Schuld ist hier keiner: Die Galeristin hat Doro die Teilnahme bei einer Ausstellung versaut, weil diese (Typ desorganisierte Künstlerin) mit ihrer Video-Installation nicht rechtzeitig fertig wurde; die Männer (untreu und wortbrüchig) haben sie ausgenutzt und hängengelassen. So ungefähr lauten die Vorwürfe. Nun ja. Die hier verbliebenen sind womöglich die letzten Überlebenden der Spezies Mensch. Denn die Kunst der Doro Coppe spielte mit der Wahrnehmung und ihrer Manipulation – von einer provozierten Massenschlägerei im Kölner Museum Ludwig bis hin zur Ausrottung der Menschheit.
Jan Steigert hat einen laborartigen, von Gitterzäunen umgrenzten Raum gebaut, der im Hintergrund von einer Art (Flughafen-)Tower überwacht wird. Von hier aus beobachten die Grünkittel den Verlauf ihres Experimentes, während im Hintergrund und an den Seiten Video-Projektionen Einblicke in Doros Kunst gewähren. (Auch diese Inszenierung ist eine Herausforderung für die Wahrnehmung.) Unterbrochen wird das Ganze durch Auftritte von einer Figur namens „Bild“, die von ihrer Kunst berichtet (und leicht als Doro zu identifizieren ist). Linda Elsner spielt sie als eine, die sich selbst unbedingt ins Zentrum allen Geschehens stellt.
Was hier gezeigt wird, ist leider weder beängstigend noch witzig, höchstens hie und da unfreiwillig komisch, wenn die Figuren unnatürlich unter den Elektroschocks zucken oder wenn am Ende alles in einer Art Slow-Motion-Splatter-Movie ausartet. Dann fuchtelt der Chirurg (der übrigens „Stier“ heißt und einen Ring in der Nase trägt) mit einer Axt, der Forscher Hark mit einem Hackebeil herum, der Künstler Sven ritzt sich die Stirn auf und taumelt blutverschmiert durch den Raum. Nichts hier tut wirklich weh, alles kratzt lediglich an der künstlichen und sterilen Oberfläche. Wenn der treulose Geliebte an den Turnbock getaped wird, droht der Stier, ihn mit einem monströsen Gummidildo zu vergewaltigen, entlässt ihn dann aber doch in die Freiheit. Die Grenze zu echtem Schmerz (oder echter Erkenntnis) übertritt dieser Abend nie, das alles muss einen nichts angehen. Dafür sind die Bilder, die Bücker findet, zu artifiziell. Und dafür ist vor allem der Text zu konstruiert und verworren. Was an diesem Abend nötig war, das bleibt hier die Frage. Zum Brechtschen Lehrstück, auf das immer wieder angespielt wird, reicht es nicht. Es bleibt beim Zitat.