Wenn der Vorhang, auf den zuvor die intakte Silhouette der Stadt Aleppo projiziert wurde, hochgeht, sieht man in einer angedeuteten Wüsten-Dünenlandschaft nur einen singenden Kopf: Loulou (der Countertenor Denis Lakey) wimmert, rezitativisch karg gesetzt: „Schrecklicher Schmerz!“ Zuvor hatte nervöses Streicherflimmern über Kontrafagott-Grundierung bereits eine hinreichend beunruhigende Stimmung suggeriert. Die Szene ist eine Rückblende: Loulou erinnert sich an seine Kastration im Teenie-Alter, als ihm seine Hoden mit glühendem Eisen verbrannt wurden und er – dem fast sicheren Tod geweiht – in der Wüste bis zum Kopf eingegraben wurde. Dann springt die Handlung zum Tod des Ridwan, des Sultans von Aleppo, der seine Herrschaft auf dem Totenbett an seinen nervösen Sohn übergibt. Diesen stattet der Komponist mit einer Tenorstimme aus (Daniel Arnaldos), die fortwährend riesige Intervallsprünge bewältigen muss und sich von der Herrschaft überfordert fühlt. Nun schlägt die Stunde von Loulou, der seine Kastration als Gezeichneter überlebte und ein schwer durchschaubares Spiel zwischen Machtpoker, erotischer Zuneigung und Vernichtungskrieg mit dem neuen Sultan beginnt. Das Ganze kann natürlich nicht gut gehen, im zweiten Akt kommt plötzlich ein orthodoxer Gottesdienst (unter der berühmten Rosette von Notre Dame) auf die Bühne, im dritten Akt eskaliert der Machtkampf zwischen Loulou und Alp Arslan, der im Mord des jungen Sultans endet, im Epilog schließt sich der Kreis, indem wieder nur der inzwischen selbst getötete Loulou erneut seinen „schrecklichen Schmerz“ als singender Kopf beweint.
Der Komponist Richard van Schoor gab vorab zu Protokoll, er habe eigentlich eine abstrakte, eher minimalistische, ort- und zeitlose Partitur im Sinn gehabt, sich dann aber durch die Zusammenarbeit mit dem Orient-Experten Willem Bruls davon überzeugen lassen, dass es ohne musikalisches Lokal-Kolorit nicht gehe. So besetzt van Schoor das Philharmonische Orchester Gießen, ergänzt aber den mit experimentellen, auch elektronisch verfremdenden Techniken vertrauten Cellisten Mathys Mayr, Evgeni Ganev an Tasteninstrumenten (auch präpariertes Klavier), sowie einen syrischen Sänger und vier mit traditionellen orientalischen Instrumenten ausgerüstete syrische Musiker, die ihre eigene Musik mitbringen. Diese wird aber nicht oder kaum integriert in die Partitur. Schoors Komposition bleibt über weite Strecken karg, die Gesangsstimmen bemühen abwechselnd rezitativischen Sprechgesang, psalmodierende Klagegesänge – die sowohl auf orientalische wie auch frühchristliche Traditionen verweisen – oder expressive Passagen gemäßigter Modernität. Das Orchester kommt überwiegend in den Vor-Zwischen- oder Nachspielen zu Wort, sonst bleibt der Gesamteindruck auf lähmende Weise stagnierend. Auch die mitunter recht massiven Chöre bleiben überwiegend in blockhaft gesetzten Psalmgesängen stecken, was die gewünscht archaische Stimmung erzeugt, die aber dennoch seltsam behauptet bleibt.
Intendantin Cathérine Miville setzt das Ganze schnörkellos, aber auch recht konventionell in Szene. In der Gottesdienst-Szene wähnt man sich in einer verstaubten „Boris Godunow“-Inszenierung, im letzten Akt in einem Sandalen-Film der 1950er Jahre. Dabei bietet Marc Jungreithmeiers Drehscheiben-Bühne viele Möglichkeiten und es gibt optisch durchaus starke Momente. Auch die musikalische Ausführung des Abends ist famos, sowohl Jan Hoffman im Graben mit dem erweiterten Ensemble, als auch das Sängerensemble (vor allem der Countenor!), die Chöre und die syrischen Musiker leisten Großes. Aber das ganze Projekt und sein hoch ambitionierter Anspruch schielen doch zu penetrant auf Betroffenheit und die wohlfeile Weisheit, dass sich in der Geschichte alles wiederholt und die Menschheit nicht lernfähig ist. Vielleicht ist der Abend auch einfach nur zu lang.