Foto: Peter Tantsis als Maximilian Aue und Ensemble © Annemie Augustijns (c) Opera Ballet Vlaanderen
Text:Konstanze Führlbeck, am 26. April 2019
Die Bühne zeigt einen großen leeren Raum mit weißen Wänden und Neonröhren, die ein grell-fahles Licht werfen. In diesem klaustrophobischen Universum von Rebecca Ringst sitzt ein Mann an einem Schreibtisch, wie aus dem Ei gepellt – Dr. Max Aue (Peter Tantsits), der Protagonist der in Antwerpen uraufgeführten Oper „Les Bienveillantes“ oder „Die Wohlgesinnten“ des katalanischen Komponisten Hèctor Parra (*1976). Wie in einem stream of consciousness zieht sein Leben an ihm vorbei, seine Zeit als Offizier des SS-Sicherheitsdienstes vermengt sich mit Szenen aus seinem privaten Leben.
Komponist Hèctor Parra und sein Librettist Händl Klaus beziehen sich auf den vielfach ausgezeichneten, aber auch umstrittenen Roman von Jonathan Littell aus dem Jahr 2006. Dabei haben sie aber keine klassische Literaturoper im Stil von „Salome“ oder „Pelléas et Mélisande“ geschaffen, sondern verfolgen in einem neu geschriebenen Libretto in abwechselnd deutscher und französischer Sprache eine fragmentarische Struktur, die sich an den Sätzen einer barocken Suite orientiert. Jeder Satz ist einer Station seines Lebens während des Zweiten Weltkriegs zugeordnet. Lineare Erzählstränge sucht man hier vergebens. Genau wie in Littells Roman ist der SS-Obersturmbannführer zum einen ein kultivierter, überfeinerter Jurist, zum anderen aber emotionslos und ungerührt der größten Greuel fähig. Und wie seine Kleidung immer „unordentlicher“ und schmutziger wird, lässt Regisseur Calixto Bieito das Biest in ihm in seiner Zeit an der Front und im Konzentrationslager Auschwitz, aber auch privat mehr und mehr zum Vorschein kommen: Die Bühne füllt sich mit meist gesichtslosen Opfern und Tätern, die zum Teil agieren, aber auch wie der Chor der griechischen Tragödie Ereignisse kommentieren. Einfühlung ist hier nicht angesagt, die komplexe Psychologie und Persönlichkeitsstruktur Aues entlarvt Bieito mit den Mitteln des epischen Theaters, Szene und Erzählung gehen immer wieder nahtlos ineinander über, durchdringen sich, überlappen. Nichts ist hier plakativ, die angedeuteten Scheußlichkeiten spielen sich im Kopf weiter ab. Tenor Peter Tantsits zeigt sich den enormen Anforderungen der Rolle souverän gewachsen: Über drei Stunden hinweg steht er auf der Bühne und legt dabei als schauspielerisch wie musikalisch überzeugender Darsteller die seelischen Abgründe dieses Mannes offen, der in seinem „zweiten Leben“ in Frankreich zwar heiratet und Zwillingskinder hat, aber seit jeher Kontakte zu Männern bevorzugt, eine Inzestbeziehung zu seiner Zwillingsschwester Una (Rachel Harnisch) unterhält und schließlich nicht nur seinen alten Freund und Förderer, sondern auch seine Mutter (Natascha Petrinsky) tötet. Die Bezüge zur antiken Mythenwelt der Orestie sind damit deutlich, und das erklärt auch den Titel: Die Rachegöttinnen der Griechen, die Erinnyen, können auch zu Eumeniden, zu „Wohlgesinnten“ werden. Und das, obwohl Max keine Spur von Reue zeigt, sondern einfach aus der Situation heraus agiert.