Allison Cook macht schon mit ihrem ersten Auftritt klar, dass sie innerlich längst abgestorben ist. Sie nimmt ein weißes Tuch vom historisierenden Sofa – neben einer gewaltigen Trauerweide mit mobilem Laub, dass einzige fest installierte Element auf Anne Neusers nachtdunkler Bühne – und setzt sich hinein, räkelt sich darauf wie eine Wiedergängerin, ein Ghul. Diese Marquise spürt nichts mehr, auch keine körperlichen Bedürfnisse, sie scheint nicht einmal mehr von dieser Welt zu sein. Wenn sie sich Weißwein eingießt, erscheint eine leuchtend rote Flüssigkeit im Glas. Da ist sie bereits eine Stufe „weiter“ als ihr Genosse Valmont, der sich noch körperlich ausleben, dabei noch einen Rest Befriedigung empfinden kann. „Spielen wir weiter?“ fragt er an einer Stelle. „Spielen wir denn?“, fragt seine Partnerin. Aus dieser unterschiedlichen Sichtweise auf die Dinge des Lebens entwickelt Kerkhof zwei spannende Charaktere, die in ihrem Überdruss gefangen sind, aber eben nicht auf gleiche Weise – und eben dadurch glaubhaft.
Der Unterschied kommt auch dadurch klar heraus, dass der Valmont mit Christian Bowers extrem jung besetzt ist. Wir erleben einen lyrisch grundierten Bariton, der, klangschön geführt, vor Kraft kaum gehen kann, und über die geforderte extreme Höhe mühelos gebietet. Musikalisch wie im Spiel geht er seine Rolle ein wenig pauschaler, direkter an als seine Partnerin. Allison Cook macht Angst in ihrer Einsamkeit, ihrer Lebens- und Todessehnsucht, die darin kulminiert, dass sie ihren Partner umbringt, um zumindest beim Sterben zusehen zu können und sich eventuell dadurch ein wenig lebendig zu fühlen. Ingo Kerkhof führt seine Darstellerin durch alle denkbaren Stadien von Triumph und Demütigung, Sadismus und Leidenslust. Was sich nur vermittelt, weil Allison Cook nicht nur die musikalischen – geradezu sämig das oft geforderte Fundament, wie aus Glas gestanzt die Höhenläufe, geradezu besessen genau die Textartikulation – sondern auch die darstellerischen Fähigkeiten mitbringt, um diese Forderungen ihres Regisseurs umzusetzen. Der setzt wiederum zusätzlich zwei stille, leicht tänzerische Zofen und ein kleines Heer männlicher Statisten ein, um Cooks Spiel- und seine Deutungsräume zu erweitern. Wobei vielleicht momentweise, etwa bei der Massenexekution kurz vor Schluss, doch jene Konzentration verloren geht, die diese Aufführung außergewöhnlich macht.
Woran auch der Dirigent Philipp Armbruster wesentlich mitwirkt. Er hat im Graben ein kleines Orchester vor sich und einen Kopfhörer auf den Ohren. Darüber bekommt er Klick-Signale, fast wie ein Metronom im Ohr, und hat so Gesang und Livemusik in Zehntel-Sekunden-Genauigkeit mit etlichen Schichten aufgenommenen Materials zu koordinieren, als da wären: ein „Fernorchester“, etwas Chor, Geräusche, Effekte, Momente von Sologesang. Auch der Live-Gesang wird elektronisch überformt, um in den Gesamtsound zu passen und gelegentlich durchs Effektgerät gejagt, so dass also auch die Ton-Abteilung des Hauses zu preisen ist, genauso wie die Spezialisten von IRCAM aus Paris, die für viele klangliche Feinheiten zuständig sind und das Parkett des nicht voll besetzten Hauses akustisch nur für die „Quartett“-Aufführungen neu verkabelt haben.
Es ist dem Dortmunder Publikum zu wünschen, dass es in die nächsten Vorstellungen strömt, um herauszufinden, dass es jetzt auch im Opernhaus mal eine Aufführung von deutlich überregionaler Ausrichtung und Ausstrahlung hat.