Zweifelsohne ist „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ Spiegelbild der Entstehungszeit und ein nachträgliches Porträt der verbrauchten Schaffer des „Wirtschaftswunders“. Mit seinem Zugriff, Teile des großen Hassmonologs kurz vor Schluss des Stückes, an den Anfang oder auch zwischen die Szenen zu setzen, versucht Minkowski die historischen Bezüge zu kappen und dafür die Geschichte einer Frau zu erzählen, die einsam und ausgebrannt ist. Claudia Frost spielt das am Anfang deutlich heraus, erschöpft, müde, um dann, wenn ihre Geschichte rekonstruiert wird, mit voller Kraft einzusteigen. Tauchen dabei im Dialog mit Sidonie von Grasenabb, der Elisabeth Hütter eine überlegene süffisante Note gibt, noch eher melancholische Töne auf, wird das Spiel mit dem Erscheinen von Karin, von Miriam Haltmeier eher gelangweilt angelegt, trotz aller Zärtlichkeiten immer aggressiver. Minkowski macht das bildlich sehr deutlich, mit zunehmender Dauer agieren die Spielerinnen immer mehr an der Rampe direkt zum Publikum hin.
Ein weiterer Eingriff ist die Besetzung von Irm Hermann, pardon: dem Faktotum Marlene, mit einem Mann, mit Jan Arne Looss im schwarzen Kleid, der trotzdem von allen als Frau angesprochen wird. Einmal scheint es sogar zu sexuellen Berührungen mit Petra von Kant zu kommen. Statt mit der Schreibmaschine zu klappern wie im Film muss er mit einem Wischlappen die Fensterfront (Ausstattung: Konrad Schaller) putzen. Und am Ende erzählt er auch nicht seine Geschichte, wie es die Chefin einfordert (wie im Stück), packt auch nicht seine Koffer (wie im Film), sondern benutzt die Pistole. Im Off ist ein Schuss zu hören. Dann steht Claudia Frost ganz allein auf der Bühne in einem schnellen Fade-Out.
Leider bleibt die Beziehung zwischen Petra von Kant und der männlichen Marlene rätselhaft. Visuell bleibt Looss trotz Kleid immer ein Mann, der einzige in einer weiblich bestimmten Umwelt, aber angesprochen wird er immer als Frau. Diese spezielle Besetzung bleibt Behauptung, die sich nicht wirklich einlöst. Anke Fonferek spielt die Mutter Valerie von Kant mondän als Grande Dame. Regina Vogel stellt die Tochter Gabrielle dar, anrührend naiv, mit Strasberg-Tränen, eine Liebende, die für einen Moment die Welt nicht mehr versteht. Mondän scheint auch das Bühnenbild von Konrad Schaller, der ein Rechteck geschaffen hat, das zum Publikum hin spitz zuläuft. Nach hinten ist der Raum am Anfang und Ende des Abends von weißen transparenten Vorhängen abgeschlossen, dahinter eine Tapete mit tropischen Pflanzen. Zwei Säulen stützen die Decke. Einziges Möbelstück ist ein roter Designsessel. Für die eingespielte Musik nennt der Programmzettel keine Verantwortlichen neben den Nummern gibt es eine Filmmusik, die die Spannung schon immer vorher ankündigt.
Dass das Landestheater Schwaben diese Produktion herausbringt, ist mutig. Das allerdings wird von den Kulturträgern der Abstecherorte wenig belohnt. Im Vorfeld konnte diese Produktion kaum verkauft werden, wenigstens Bad Wörishofen, der Geburtsort von Fassbinder, schlug zu. Wenn durchaus manches rätselhaft-ungelöst bleibt, ist doch eine spannende Produktion entstanden, über die die Debatte lohnt.