Foto: "Ariadne auf Naxos" in Halle © Theater, Oper und Orchester GmbH, Anna Kolata
Text:Roberto Becker, am 23. Februar 2019
„Ariadne auf Naxos“ ist kein Thriller wie „Salome“ und „Elektra“. Auch kein „Rosenkavalier“. Obwohl das kongeniale Duo aus Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal auf so etwas Ähnliches hinaus wollte. In der neuen Hallenser Inszenierung hat dieses Werk, das in einem besonderen work in progress entstand, gleichwohl von beidem etwas. Mit ihrem 1912 in Stuttgart ursprünglich anvisierten Experiment, ein Schauspiel („Der Bürger als Edelmann“) und eine Oper („Ariadne auf Naxos“) an einem Abend zu koppeln, sind die beiden gescheitert. Das Publikum wollte damals (und wohl im Grunde auch heute) entweder ein Schauspiel oder eine Oper. Da nützte auch ein Theatergenie wie Max Reinhardt als Dritter im Bunde nichts.
Das Überarbeitungsresultat, wie es seit der Wiener Uraufführung der Neufassung von 1916 funkelt und strahlt, ist ein Werk, in dem jetzt zwei ganz verschiedene Arten von Musiktheater aufeinandertreffen. Genau deren Kollision wird zum Thema, wie die Rahmenbedingungen für Kunst überhaupt. Vom Schauspiel blieb nur die Sprechrolle des Haushofmeisters. Musikalisch ist das Ganze – trotz kleiner Besetzung – eine volle Dosis post-spätromantischen Orchesterrauschgiftes. Samt einer Handvoll Steilvorlagen für vokale Grenzerforschungen. Vor allem die machen das Werk genauso zu einer Herausforderung für jedes Opernhaus wie der Umgang mit der Handlung. Beides hat die Oper Halle jetzt mit der Neuinszenierung von Paul-Georg Dittrich, mit Michael Wendeberg am Pult der Staatskapelle und einem Protagonisten-Ensemble aus der Kategorie Glücksgriff glänzend bestanden!
Obendrein mit einem Gesamtkunstwerk, das so, wie es jetzt vom Premierenpublikum einhellig bejubelt wurde, beispielhaft in die Ästhetik der Oper Halle passt. Genau dieser Erneuerungsästhetik hatte ein von erschreckendem Kleinmut beherrschter Theater-Oper-und-Orchester-Halle-Aufsichtsrat ein paar Stunden vorher mit der Entscheidung über die Nichtverlängerung von Intendant Florian Lutz über 2021 hinaus die Luft abgedreht. An diesem Abend ging es aber nicht um die moderne Melange aus (Lady) Macbeth und Richard III., die die Hallesche Kommunalpolitik (mit Ausnahme der Grünen und des OBs) hier gerade in einer Langzeitinszenierung aufführt. Der Winter unseres Missvergnügens beginnt erst, wenn Florian Lutz weg ist. Jetzt scheint erstmal noch zweieinhalb Spielzeiten die Sonne der Erneuerung.
Auf der Bühne von Raumbühnenerfinder Sebastian Hannak (Kostüme: Anna Rudolph) gilt’s in mehrfacher Hinsicht der Kunst. Und da hat „der reichste Mann Wiens“ bei einem jungen Komponisten eine Oper bestellt (und „nebst einer munifizenten Gratifikation“ auch bezahlt hat, wie sein Oberdomestik süffisant bemerkt) und gleichzeitig die bunte Truppe von Zerbinetta und ihren Jungs nebst Tanzmeister engagiert. Sie sollen zwischen großer Tafel und üppigem Feuerwerk für Unterhaltung sorgen. Sozusagen ein Stück E- und ein Stück U-Musik bereithalten. Was allein schon für einiges Hin und Her sorgt, wenn die „richtigen“ Sänger auf die aus der Unterhaltungsbranche treffen. Der Ernst in der Komödie blitzt auf, wenn der Auftraggeber dann urplötzlich verlangt, dass beide Stücke gleichzeitig aufgeführt werden sollen. Ohne das vorgesehene Zeit-Budget zu überschreiten, versteht sich. Also die übliche Quadratur des Kreises zu liefern, die „man“ allenthalben von der Kunst verlangt.
Dittrich liefert wie erwartet eine in die Gegenwart durchlässige Ästhetik: kein Wiener Palais, aber einen Prospekt des dortigen aus dem Neujahrskonzert geläufigen Musikvereins-Saals. Dort probieren die einen ihre Kostüme, die anderen tragen T-Shirts verschiedener Theater: Linz, Trier, Hagen, Halle kommen vor, die allesamt ihre Krisen hatten oder haben. Den Vortritt hat aber der Komponist. Der kämpft sich vor den Vorhang, ist aufgeregt, imaginiert sich sein Stück bis hin zur Applausordnung, die dann vom hier verfünffachten Haushofmeister probiert wird.
Der Regisseur denkt das Ganze also vom Komponisten aus. Des Prinzen von Homburg „Träum ich? Wach ich? Leb ich? Bin ich von Sinnen?“ passt gut zu ihm. Für diejenigen, die in jeder Neuproduktion auf die Videos warten, um sich dann reflexartig darüber aufzuregen, gibt es immer mal kurze Einblendungen: Strauss beim Dirigieren und Sich-Mokieren über Wien. Bulgakow, der gerade verboten wird. Brecht, der seinen Witz vorm Mc Carthy-Ausschuss mal zur Selbstverteidigung einsetzt. Bis hin zu Ai Wei Wei. Auch hier also: verfolgte, drangsalierte Kunst.
Wenn es um die Auftraggeber und Finanziers von Kunst geht, dann öffnet sich allemal ein weites Feld. Der Verdacht einer frivolen Überreizung wird allein dadurch relativiert, dass sie möglich ist. Richtig kunstvoll, jenseits von assoziativen Erweiterungen, sind die Videos mit dem Komponisten zu Beginn des zweiten Teils, unruhig träumend, in einem weißen Raum, an dessen Fenstern schwarze Farbe wölkt und sich ausbreitet. Hier liegt denn auch der große Vorzug von Dittrichs Inszenierung: Er nimmt das Stück auch im zweiten Teil, wo andere nur den lukullischen Hauptgang servieren, wirklich ernst, lässt sich ein auf die Todessehnsucht der Ariadne und den Lebens- und Liebespragmatismus von Zerbinetta, auf das Ringen der Frauen mit sich selbst und mit der Überheblichkeit der Männer, sei es die von Zerbinettas Liebhaber oder die des Bacchus. Wenn der im Gegenlicht der Scheinwerfer auftaucht, achtet er vor allem darauf, wie er sich selbst in Szene setzen kann. Alles spielt sich jetzt in einen silbern verspachtelten Kunstraum – oder Raum der Kunst – mit einem halbem Dutzend David-Kopien ab. Und in einer Sphäre zwischen Träumen und Wachen, bei der man der Todessehnsucht Ariadnes, dem eskalierenden Missverstehen von Ariadne und Bacchus und Zerbinettas Plädoyer für das Leben durchweg gespannt folgt. Wenn sich der Komponist am Ende umbringt, dann wohl nicht wegen der Zumutung einer verstümmelten Aufführung, sondern weil er selbst die Todessehnsucht, die er komponiert hat, mit dem Leben verwechselt… Eine etwas makabre Pointe.
Das funktioniert, weil in Halle ein fabelhaftes Ensemble beisammen ist, das jedes Scheinargrument, hier ginge es immer nur um Regie mit Video und nicht um die Sänger und die Musik, glänzend widerlegt. Ein klein wenig vor den anderen ging Liudmila Lokaichuk als Zerbinetta durchs Ziel. An ein derartiges Feuerwerk aus Koloratur und Sexappeal kann man sich in Halle nicht erinnern, aber auch auf anderen Bühnen würde sie abräumen. Aus ihrer handverlesenen Truppe ragen Matthias Koziorowski als Brighella (und Tanzmeister) und Martin Gerke als Harlekin heraus. Svitlana Slyvia ist ein recht dramatisch auftrumpfender Komponist. Anke Berndt beweist, dass sie mittlerweile zu einer erstklassigen Primadonna (im Stück und im Haus) und Ariadne gereift ist. Ihr sekundieren Linda van Coppenhagen (Najade), Yulia Sokolik (Dryade) und Sol Her (Echo) hinreißend. Der Gast Jean Noël Briend schließlich machte seinen Tenor und Bacchus (trotz Erkältung) zu einem Strauss-Ereignis mit Suchtfaktor. Und da sich die Musiker der Staatskappelle darauf beschränken, (gelegentlich) Misstöne in offene Briefe an den Aufsichtsrat, aber (diesmal) nicht in ihr Spiel zu packen, war der Strauss im Graben der Punkt auf dem i einer großartigen Produktion.