Zunächst steht nur ein Mann auf der Bühne, ein gewichtiger Adam, doch zu Liebe und Versuchung kommt es nicht. Die anderen Figuren treten hinzu, alle in weißen Trikots und geschminkten Gesichtern, halb Kabuki, halb Commedia, leider auch mit einer Art Astronautenstiefeln und bammelndem Stoffgemächte, ohne Ansehen des Geschlechts auf einige Choristen verteilt (Kostüme: Sarah Julia Rolke). Aufgemalt ist ihnen ein System von blauen Venen und roten Arterien nebst Herz, wir schauen ihnen also unter die Haut. Aber so tiefschürfend ist die Bewegungsregie dann keineswegs. Wir sehen keine Seelen tanzen, sondern Menschen, die in der Kantate „Falsche Welt, dir trau ich nicht“ zur Arie von den falschen Zungen sich gegenseitig würgen, dann wieder im Stuhlhalbkreis zu schlafen scheinen, auch mal die Stühle in zwei Gruppen gegeneinander erheben. Ein Statist kommt unter Donnerhall und mit angstvoll abwechselnd zu beiden Seiten gewendeten Augen zu Tode und bleibt dort bis fast zum Ende liegen wie ein Opferlamm.
Über weite Strecken steht der Chor aber bloß im Raum verteilt, verkünden sich die Solisten auf einem Stuhl stehend quasi konzertant. Konzepte wie Sünde oder Gnade, die in den Texten auftauchen, erfahren keine Deutung. Und manchmal schwankt die Bewegungsfindung zwischen Eurythmie und Kindergottesdienst, wenn beim festlichen „Erschallet, ihr Lieder“ die Choristen ihre Hände horchend an die Ohren legen oder sich die Solisten sanft im Takt wiegen. Der „Tröster“ Christus ist mit gutem Willen in den fürsorglichen Gesten unter den Choristen sichtbar, die den Gefallenen bergen und tragen. Eine Schlangenbewegung der verschränkten Choristen und erhobene Hände hinter dem Solisten ergeben eine hübsche pfingstliche Gloriole. Aber wenn sich am Schluss die Sänger mit erhobenen Armen in den Hüften drehen und im Licht umarmen, sieht das zu sehr nach Erweckungsgottesdienst aus. Die Gesten sind abgenutzt, das Theater kann der Musik in dieser Inszenierung nichts geben, was sie ohne Ablenkung viel ergreifender nicht schon hätte.
Jörg Halubek führt das Staatsorchester Kassel zu einem schlanken Klang, legt, wie heute üblich, bei den Stimmen mehr Wert auf Affektbetonungen als auf sinnhafte Artikulation. Daniel Holzhauser kann die Arien mit schönem Bariton singen, aber für die „Heiligste Dreieinigkeit“ braucht das Wort mehr Präsenz, wohl auch mehr Basskraft, um ins Gewissen zu dringen. Younggi Moses Do nimmt die Tenor-Arien zu zärtlich und lässt die Fülle vermissen, wo die Stimme hoch aufstrahlen müsste. Karola Sophia Schmids Sopran wirkt nicht durchweg rund, nimmt sich zuweilen zu sehr zurück. Mehr weiche Klangentfaltung bietet Elizabeth Baileys Sopran, der sich auch sehr schön ergänzt mit dem substanzvollen, wohlartikulierten Alt von Marta Herman. Am schönsten klingen die Solisten alle zusammen. Und der Chor verbreitet vor allem die Ruhe gläubiger Geborgenheit.
Mehr Konflikt und Erregung hätten der Szene gut getan. „B.A.C.H.⁶¹“ bleibt zu gemächlich.