Als der Zwist mit der Schwägerin eskaliert, flieht Grete aus der Stadt; Freund Valtin nimmt sie mit. Die Elbe hinab geht’s auf einem Floß, dann ist das Paar für eine Weile mit reisenden Puppenspielern unterwegs, die gleich zu Beginn der Fontane-Fabel (und zu furios donnernder Percussionsmusik!) schon „Das jüngste Gericht“ gespielt hatten auf dem Markt vor dem Rathaus in Tangermünde. Die beiden haben auch ein Kind, dann wird Valtin todkrank – und Grete kehrt auf seinen Wunsch heim und bitte alle im Hause Minde um Verzeihung, vor allem den Bruder. Der aber weist sie ab, verweigert auch das Erbe, das der Halbschwester zustünde – da wird Grete zum feurigen Racheengel.
Der religiöse Wahn der Geschichte ist von heute, genau wie der ungebändigte Freiheits- und Selbstbestimmungsdrang der jungen Frau und der Hass von Biedermännern und –frauen auf alles Fremde. Und doch kommt Kay Wuscheks Inszenierung ganz ohne Moderne aus; mal abgesehen von Kinderwagen, Rollstuhl und einem Mikrophon für den Prediger. Joachim Hamster Damm (in bester Erinnerung schon als Teil von Leander Haußmanns Team vor über zwanzig Jahren in Bochum und ein wunderbar freier Geist der Bühnenbauerei!) hat eine Art märchenhafter Puppenstubenstadt gebaut, mit sehr beweglichen und in Backstein gemalten Mauer-, Haus- und Turm-Kulissen mit Zinnen und Zacken am Dachfirst, sparsame Videos und Projektionen inklusive. Und auch die Puppen hat er beigesteuert – kreiert vor Jahren in einem Projekt mit jungen Theatermenschen. In Damms Kostümen wie in Wuscheks Inszenierung wirkt derweil nichts aufgesetzt heutig und also angestrengt, vom kleinen Suff-Exzess des Kirchenmanns mal abgesehen. Eher befördert der Intendant von der Berliner Parkaue speziell zu Beginn das jugendliche Spiel von Nachbar Valtin (Alexander von Säbel) und der Grete von Sophie Platz.
Die junge Schauspielerin wird auf ganz unspektakuläre Weise zum Zentrum – so bestimmt in allem, was sie will, wie in dem, was daraus nicht werden darf. Neben ihr agiert das immer noch sehr kleine Rostocker Ensemble sehr kompakt und konzentriert, mit ihnen allen verdichtet sich die Fabel auf zwei pausenlose Stunden. Vor leider nicht ausverkauftem Hause – das Fundament für kraftvolles Schauspiel wie dieses ist in Rostock offenbar noch immer und längst nicht fest und breit genug. Aber was kann Theater mehr als es hier zeigt? Uns kommt eine Geschichte ziemlich nahe, die doch eigentlich unerhört weit weg sein müsste: in Fontanes Novelle vor 139 wie dem authentischen Geschehen vor 502 Jahren. Und wir erschrecken ein bisschen, dass so fürchterlich viel vom Feuer, das in Tangermünde brannte, auch heute wieder schmort und zündelt.