„Wie fühlst du dich?“, fragt der Hypnotiseur.
„Okay“, antwortet Heidi Ecks, die ihren Text vom Blatt abliest.
„Nervös?“
„Ein bisschen.“
„Das macht nichts. Es wird alles gut.“
Ecks spricht zunächst leiernd, monoton, emotionslos, wirkt verloren. Doch es dauert nicht lange, bis sie ihrer Figur mehr Farbe gibt, bis sie sich in sie hineingefunden (oder was man dafür hält) hat. Rotes Kleid, schwarze Hose, rote Lederschuhe, so steht sie in Alltagskleidung da. „Dein Haar wird grau“, spricht der Hypnotiseur zu ihrer Figur. Und Ecks muss lachen, nickt. Da hat Crouchs Text per Zufall Recht. Da werden Realität und Spiel, die Figur und die sie Spielende in einem banalen Detail eins.
Die Geschichte hat etwas Absurdes: Seit der Zauberer das Kind (ohne Schuld) vor drei Monaten überfahren hat, hat er all seine Tricks verlernt, ist er nicht mehr in der Lage, Menschen zu hypnotisieren. Zu seinen Auftritten aber ist er vertraglich verpflichtet. Also steht er weiter jeden Abend auf der Bühne eines Kellertheaters und gibt den Einheizer. Glamourös ist an dieser Bühne nichts: Acht einfache Plastikstühle, zwei Lautsprecher, ein Tisch, zum Showbeginn läuft viel zu laut Orffs „Carmina Burana“. Und auch der Hypnotiseur selbst ist eine glanzlose Figur: Die Glitzerweste wirkt billig, die Hose sitzt schlecht, der Bauchansatz ist nicht zu übersehen. Eines Abends besucht nun der Vater des Unfallopfers eine seiner Vorstellungen. Er kommt auf die Bühne und will sich von dem, der seine Tochter getötet hat, in Hypnose versetzen lassen.
Mal buchstabiert Sebastian Reiß seiner Mitspielerin Heidi Ecks den Text vor, den sie sprechen soll, mal liest sie ihn von einem auf einem Klemmbrett befestigten Textblatt ab. Oder Reiß spricht Anweisungen in ein Mikrofon, die man im Zuschauerraum nicht versteht. Ecks hört über einen Kopfhörer, was er sagt, und reagiert darauf. Wie und ob der zweite Spieler das tut, das ist nicht festgelegt, eine „Präsenz des Unberechenbaren“ nennt es Autor und Regisseur Crouch. Die Inszenierung wirkt, als würde man einer Probe beiwohnen, trotzdem entwickelt die Geschichte schnell ihren Sog. Obwohl man weiß, dass alles gespielt ist, gibt man sich der Fiktion hin.
Crouch hat sich für sein Theaterexperiment von dem Werk „An Oak Tree“ des Konzeptkünstlers Michael Craig-Martin inspirieren lassen. Der irisch-britische Künstler hat dafür ein Regalbrett an einer Galeriewand angebracht, ein Glas voll Wasser darauf abgestellt und behauptet, dass es sich dabei um eine Eiche handelt. Diese Verabredung, dass wir etwas, von dem wir wissen, dass es erfunden und gespielt ist, als eine Art Realität akzeptieren, legt Crouch mit seinem Stück offen. Er reißt herunter, was dem Theater an „Taschenspielertricks“ (so nennt er selbst es) zur Verfügung steht, er ist ein Aufklärer, ja, ein Dekonstruktivist. Den Zauber aber greift Crouch nicht an, die Magie der Bühnenkunst wird von ihm nie verscheucht. Gekonnt spielt Crouch mit dem, was er hinterfragt. Das ist in der Tat große Kunst.