Der zum Ende der Saison scheidende Generalmusikdirektor Georg Fritzsch und die Philharmoniker gehen volle Kraft voraus, um das neue Operndrama zum wachsenden Kieler Stolz auf den epochemachenden Matrosenaufstand von 1918 emotionale Kraft zu verleihen. Mit riesigem Erfolg: In der Uraufführung von „Falscher Verrat“ folgt einer Prise Buh der ganz große Bravo-Sturm.
Der Norditaliener Tutino findet angesichts raubeiniger Matrosenschicksale und überreichlich vielen Hafen-Huren zu einer herben, nah an Pulsschlag und Nervengewitter entzündeten Marine-Musiksprache, die eigentlich nur in den etwas weinerlichen Arienabschnitten à la Puccini an Eindringlichkeit verliert. Allemal geraten die Protagonisten und der zupackende Chor (Einstudierung: Lam Tran Dinh) so ins Aussingen, dass an großem Opernformat kein Zweifel aufkommt. Da schwingen aber auch solidarisch Hanns Eisler, Paul Hindemith und die Russen des 20. Jahrhunderts mit, steckt (Selbst-)Ironie drin, poltern am Schluss die kaiserliche Siegerkranz- und proletarische Agitprop-Parolen heftig durcheinander: Völker hört die Signale – mal aus Kiel!
Der Komponist konnte seine angstbesetzt düsteren Wogen ganz aus dem sehr geschickt gebastelten Libretto von Luca Rossi und Hamelns Theaterchef Wolfgang Haendeler entwickeln. In operntypisch gestelzter Künstlichkeit der deutschen Sprache schichten sich hier Verrätereien an vielen, an einzelnen und vor allem an den eigenen Idealen als Impulsgeber der Novemberrevolution.
Der Regisseur Daniel Karasek folgt den Vorgaben penibel genau und hat mit seinem Team (Bühne: Lars Peter; Kostüme: Claudia Spielmann; Licht: George Tellos) dazu an Deck, in Kajüten und in Kieler Kemenaten stimmungsvoll Atmosphäre geschaffen. Nur in angedeuteten Schauplätzen und wie in einem herbstlich vernebelten Dokumentarfilm werden die handelnden Typen, meist mit projiziertem Seegang im Rücken, sehr plastisch charakterisiert.
Der junge Heizer Gabriel Jensen, den Michael Müller-Kasztelan mit oft inbrünstig hochfliegendem Tenor als linken Revoluzzer und verletzten Liebenden rüstet, fordert seinen Vorgesetzten Arno von Stahl aufs Äußerste heraus: Tomohiro Takada zeigt mit kraftvoll strömendem Bariton anrührend, wie dem Kapitän „Seiner Majestät Schiff Helgoland“ aus dem Ruder läuft und er zwischen Zweifel und Treue zu humanistischen Idealen, zur Ehefrau, zu seiner Geliebten und zum Vaterland zerrieben wird.
Trotz anrüchiger Profession als Prostituierte geht von Lola ein ehrlich liebesfähiges Leuchten aus, das zwar die beiden Männer verbrennt wie die Motten das Licht, aber ihre entsprechend verblendeten Entscheidungen glaubhaft werden lässt. Agnieszka Hauzer zündet dazu ihren jugendlich-dramatischen Sopran. Reichlich dicke kann man allerdings den symbolistisch überhöhten Schluss finden, wenn sie ihre Liebestoten an die Hand nimmt und als unsterbliche Helden in die (vorerst republikanische) Ruhmeshalle einer letztlich unaufhaltsam weiterlaufenden Historie führt …
Neben Admiral Kropp (Jörg Sabrowski) wird noch dessen Tochter Elsa zur interessanten Figur: Tatia Jibladze singschauspielert in ihr das Paradox einer Stummfilm-Diva mit viel Fricka-Stimme und Sprachausdruck herbei, die den fatalen Standesdünkel in der elitären Marineleitung greifbar macht. So hat jetzt auch das Opernhaus am Kleinen Kiel eine wirkungsvoll konfektionierte Produktion mit heimatlichem Geschichtsbezug.