Mitchell nimmt den psychologischen Realismus Janáceks ganz beim Wort und übersetzt das Drama schnörkellos, aber ungeheuer dicht ins Hier und Jetzt. Jede Geste, jeder Blick beglaubigt Heutigkeit und die Aktualität eines Dramas, in dem es eigentlich um überkommene Vorstellungen von Schande und Amoral geht. Vor dem Hintergrund der prekären Lebensumstände der Titelfigur werden die Nöte und Zwänge, unter denen das Drama seinen Lauf nimmt, aber wieder überraschend plausibel und aktuell. Das Kraftzentrum der ungemein spannenden Aufführung ist die Küsterin der Evelyn Herlitzius: Mit der schwangeren Jenufa in ihrer seltsamen Behausung, die ein Wohnmobil sein könnte in einem kellerartigen Verschlag versteckt hinter geschlossenen Gardinen, wie sie eindringlich den Kindsvater um Hilfe bittet und schließlich in einer atemberaubend intensiven Verzweiflungsspirale zur Mörderin des Babys ihrer Stieftochter wird, ist selten so konzentriert und erschütternd gezeigt worden. Auch Annette Dasch, die als Jenufa debütiert, gelingt ein vielschichtiges Rollenporträt: Vom leichtfertig lebensgierigen, etwas törichten Mädchen über die gedemütigte Verlassene und bis hin zur Geläuterten macht sie eine rasante Entwicklung durch, die sie mit hoher Intensität füllt, ohne in extrovertiertes Überagieren – was bei Janácek leicht unterläuft! – zu verfallen. Einen großen Auftritt hat auch Hanna Schwarz als strenge, durch das Leben verhärtete alte Burya.
Stimmlich ist dieses Frauentrio famos, wenn auch etwas untypisch besetzt, denn Annette Daschs Sopran tönt lyrischer und heller als für diese Rolle gewohnt, auch Evelyn Herlitzius klingt sopraniger als andere Küsterinnen. Hervorragend sind auch die rivalisierenden Männer besetzt: Pavel Cernoch ist ein ergreifender Steva mit flammenden Tenor-Höhen, dessen Wandel vom aggressiven Messerstecher zum hingebungsvoll Liebenden eindrucksvoll gelingt. Norman Reinhardt gibt dem Parvenü Steva angemessene Leichtigkeit, ohne ihn unsympathisch zu zeichnen, auch er brilliert mit sicheren und strahlenden Höhen. Der Rest des Ensembles ist hervorragend besetzt, alle singen ein höchst ein höchst idiomatisches Tschechisch. Tomáš Netopil am Pult des Nederlands Philharmonisch Orkest dirgiert einen hoch differenzierten, durchsichtigen Janácek, der einen geradezu impressionistischen Farbreichtum entfaltet und dessen sogartige Spannung niemals nachlässt. Großer Applaus und Bravi.