Auch Sophie Rois (die 1992 mit und zu Frank Castorf an die Volksbühne kam und gerade wieder in Salzburg mit ihm gearbeitet hat) ist mitgewandert ans Deutsche Theater; das Publikum dort begrüßt die bewährt ruppig-rauhe, aber auch sehr komische Kratzbürste euphorisch. Interessanter aber ist das Ensemble neben ihr und Groß – in die mittlerweile sehr lange Liste von Meisterinnen und Meistern der Schauspielerei, die sich haben infizieren lassen von Polleschs Art zu schreiben und zu sprechen, treten nun auch Judith Hofmann und Bernd Moss ein. Und mit ihnen kommt ein durchaus konzentrierterer, weniger wie improvisiert wirkender Ton ins Spiel. Die Souffleuse Marion Rommel muss auch nicht mit auf die Bühne – das war in frühen Pollesch-Zeiten immer einer der liebenswertesten Effekte.
Die wichtigste Frage aber bleibt wie immer bei Pollesch: Worum geht’s hier eigentlich? Das ist (wie ebenfalls immer) recht schwer zu beantworten. Im Bett zu Beginn lagert auch Rois mitten zwischen den Mädels – und gibt sich extrem erschöpft: Kunst neigt zur Ermüdung. Und mit Moss oben rechts in der Loge führt die schräge Diva später einen Dialog über den Wert des Theaters an sich, lange beschäftigen sich Autor und Ensemble mit dem Begriff des „Liebhaber-Theaters“. Geht’s da um Liebhaber an sich – oder bringen die Ensemblemitglieder Geld mit, um spielen zu dürfen? Speziell hier ist „Cry baby“ extrem pointensatt; gelegentlich gefällt sich Pollesch ja in der Rolle des Ober-Komödianten, des Emmanuel Striese sozusagen in der zeitgenössischen Theatermoderne.
Gleich zu Beginn wehen aber auch reichlich Zitate aus Kleists „Prinz von Homburg“ durch den Text. Zudem wird immer wieder französisch getan, als seien wir in einer Gesellschaftskomödie von Flaubert oder Balzac. Die Choristinnen, zu Beginn revolutionär bewaffnet, um Rois zu exekutieren wie Maximilian von Mexiko, werden immer wieder zum kollektiven Partner in Frage- und Antwortspielen, ihnen gehört auch das Finale mit gleich literweise vergossenen Tränen, die den Titel des Abends bestätigen: „Cry baby“. Das „Heul doch“-Motto ist wie seit Anbeginn des Pollesch-Theaters einem schon recht betagten Pop-Song entlehnt. Wie überhaupt die Tonspur eine Menge Platz einnimmt in etwa 75 Spielminuten …
Am besten also nichts Neues. Pollesch bleibt Pollesch, auch am Deutschen Theater, bewegt sich nicht zurück und nicht voran, lässt auf der Stelle rennen und wortreich Purzelbäume schlagen. Zwei ältere Damen, vor der Vorstellung belauscht im Foyer, womöglich Stammpublikum am neuen Haus und deutlich hörbar noch nicht vertraut mit Mitteln und Methoden der Marke Pollesch, haben sich sicher mitreißen lassen vom Jubel der Fans. Aber vielleicht haben sie einander hinterher auf dem Nachhauseweg ja auch gefragt: War da was? Und wenn da was war: was?