Foto: "Nothing Twice" an der Münchner Schauburg © Fabian Frinzel
Text:Manfred Jahnke, am 14. Juli 2018
Was verändert sich im Bühnenraum, wenn Break-Dancer und Graffiti-Sprayer zu einem „Battle“ antreten? Der Raum ist begrenzt, die Wandflächen ebenfalls. Kann man diese Grenzen durch Bewegung im Raum auflösen? Und wie beteiligt man die Zuschauer an dieser Bewegung? Diese und ähnliche Fragen haben das Team um den Choreographen Erik Kaiel beschäftigt, als er für die Münchner Schauburg „Nothing twice. Ein Stück HipHop für die Bühne“ – nach einem Vorversuch am Mannheimer Schnawwl – neu entwickelte. „Nothing can happen twice“ lautet die erste Zeile im gleichnamigen Gedicht von Wislawa Szymborska, von der weitere Texte in diese Produktion aufgenommen wurden.
Wenn die Zuschauer den Raum betreten, manche mit einem Hocker unterm Arm, denn es gibt keine Bestuhlung, scheint zunächst einmal eine klassische Bühnensituation zu herrschen. Auf einer großen Spielfläche sind in regelmäßigen Abständen leere Spraydosen aufgestellt. Dazwischen jongliert ein Break-Dancer, während auf einer großen Wand Cédric Pintarelli zu „malen“ beginnt. Nach und nach kommen alle Mitwirkenden auf die „Bühne“. Zwischen den Dosen bewegen sie sich, und aus dieser Bewegung heraus entstehen die Linien auf der Wand, bis das Bild voll ist. Dann werden die Dosen weggekickt, ein neuer Spielraum hergerichtet. Das wird zum Prinzip der Inszenierung: Ständig verändern sich die Räume, wuseln sich die Mitwirkenden durch die Zuschauer, leiten durch kurzes Nicken das Publikum zu anderen Orten, die noch im Entstehen begriffen sind. Klar sind alle klassischen Breakdancefiguren zu sehen, wunderbar vor allen Dingen von Anita Sommer und Jonas Frey ausgeführt, auch das „Malen“ wird immer wieder pantomimisch über das Spiel der Hände dargestellt.
Weil die Zuschauer von Ort zu Ort mitgehen müssen, sich zu den Rhythmen der Musik automatisch mitbewegen, zwischendurch auch eingeladen werden, sich an den Händen zu fassen und Linien zu bilden, löst sich nicht nur der Raum auf, sondern mehr noch die Trennung zwischen Spielenden und Zuschauenden. Für den Augenblick verschwimmen die Grenzen, um beim Schlussbeifall wieder existent zu werden. Eingebunden in diesen Bewegungskontext sind nicht nur die Verse von Wislawa Szymborska oder „No manifesto“ von Yvonne Rainer, sondern auch die „Klage der Ariadne“ von Friedrich Nietzsche, umfunktioniert in die „Klage des Künstlers“. Seltsam, wie der hohe pathetische Ton dieser Lyrik korrespondiert mit den Vorgängen im Raum, als ob jeglicher Kunst – und die HipHop-Kultur ist eine! – dieser Pathos inne wohnte.
„Nothing twice“ ist dabei wie das Eintauchen in eine andere Welt, ein Genießen des Moments, darin ganz und gar theatralisch. Erik Kaiel und Cédric Pintarelli haben den Raum geschaffen, Luca Plaumann mit dem Ensemble die Kostüme. Neben den schon genannten Breakdancern und dem Grafftisprayer tragen Alexander Fischer, Ivana Nikolic und Klaus Steinbacher, wie die anderen drei auch von starker Präsenz, zum Gelingen dieser Inszenierung bei – auch wenn kein Lack gesprüht wird, was in geschlossenen Räumen nicht geht. Ein spannender Auftakt für das Münchner Festival „Thing Big!“, das internationale Tanz-, Musiktheater- und Performance-Inszenierungen für ein junges Publikum zeigt.