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Houston, wir haben ein Problem

Michael Obst: Solaris

Theater:Saarländisches Staatstheater, Premiere:08.03.2018Autor(in) der Vorlage:Stanlislaw LemRegie:Hermann SchneiderMusikalische Leitung:Christopher Ward

Hermann Schneiders Inszenierung von Michael Obsts Musiktheater „Solaris“ nach Stanislaw Lem macht am Staatstheater Saarbrücken Station – zu Freude des Publikums.

Man kann es ja verstehen, dass sich die Klangphantasie der Opernkomponisten immer wieder am Licht der beiden Sonnen über dem Planeten Solaris entzündet, die eine rot, die andere blau, und mehr noch an dem Ozean, der auf der Oberfläche dieses Planten im doppelten Farbspiel schimmert: ein waberndes, gestaltenbildendes, intelligentes Etwas. Rein akustisch gesehen ist er eigentlich schon in sich selbst eine Klangfläche, die nachzuzeichnen eine echte musikalische Herausforderung ist. Eine Herausforderung ist er aber auch für die Astronauten der Raumstation, die über dem Planeten schwebt, entsandt und erbaut von den Menschen auf der fernen Erde, um diese fremde Wesenheit zu erforschen. Aber auch die Wesenheit forscht. Sie forscht tief im Unterbewusstsein der Astronauten. Und sie ist in der Lage, die Gestalten, die sie dort findet, zu materialisieren. „Gäste“ nennen die Astronauten diese Wiedergänger, die wie aus dem Nichts auf ihrer Station erscheinen und bald ein sehr menschliches Eigenleben entwickeln. Diese Konfrontation bildet die vordergründige Handlungsebene von Lems Roman. Den Hintergrund aber bildet der surreale Versuch zweier vollkommen unterschiedlicher Intelligenzen, miteinander zu kommunizieren. Und die Hauptfigur in diesem Spiel ist eigentlich – der Ozean.

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Dass das bei Lem nicht auf den ersten Blick klar wird, liegt an der literarischen Form. Als Romanautor braucht er einerseits eine Handlung, andererseits stehen ihm aber auch alle nur erdenklichen Erzähltechniken zur Verfügung, um konkrete Ereignisse mit philosophischem Hintersinn aufzuladen. Eine dramatische Form aber muss ohne einen allgegenwärtigen Erzähler auskommen, und das heißt: Sie muss in den Grundaxiomen ihres Konstrukts radikalere Entscheidungen treffen. Und da ist es schon verwunderlich, dass sich die Komponisten von Solaris-Opern, zumal wenn sie ihre eigenen Librettisten sind, immer wieder in der Handlung verzetteln, statt sich auf die Beziehung zwischen dem psychodelischen Ozean und den in ihrer Individualität gefangenen Menschen einzulassen – auf ein letztlich Ungegenständliches also, das aber ihrem musikalischen Medium doch eigentlich zugänglich sein sollte.

Zuletzt war Detlev Glanert mit seiner 2012 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführten „Solaris“-Oper im „Odysee-2001“-Ambiente steckengeblieben. Und viel früher schon erging es Michael Obst mit seinem 1996 bei der Münchener Biennale für neues Musiktheater herusgekommenen Werk ähnlich. Wobei man in beiden Fällen sagen muss: Die Musik, die hätte schon auch eine andere Perspektive auf die Handlung hergegeben. Denn natürlich lassen sich beide Komponisten stark von Lems gestaltenreichem Ozean inspirieren.

Aber Obst verzettelt sich vor allem in seinem Libretto viel zu sehr damit, Text zu transportieren. Und das hat Konsequenzen für die Komposition: Seine Sänger müssen sich an einer wahren Wörterflut abarbeiten, die teils ziemlich banal klingt, so dass man sich unwillkürlich fragt: Warum singen die eigentlich, wenn sie doch so viel miteinander zu besprechen haben? Weder gelingt es Obst, den Gesang strukturell zu integrieren, noch charakterisiert er die Charaktere psychisch oder typologisch – über Strecken ist das ein Neue-Musik-Allerwelts-Singsang. Nur eine Figur, Harey, die rematerialisierte Freundin des Astronauten Kris Kevin, hat einen eigenen vokalen Charakter – einen bizarr fremden. Obst hat diesem seltsamen „Gast“ eine in großen Intervallen und extremen Höhen sich aufsplitternde Blue-Ice-Lyrik geschenkt, die genau so faszinierend klingt wie seine metallisch klirrenden, manisch pulsierenden Klangflächen. Diese Ebene der Musik setzt sich nun wirklich mit viel Klangsinn auf die Spuren einer bizarren, unheimlichen Intelligenz. Darauf könnte eine musikalisch sensible Regie reagieren. Doch die Regisseurin Anja Sündermann hatte 1996 in München stattdessen eine krachend realistische Handlungsnacherzählung in einem Sci-Fi-Ambiente ins Werk gesetzt, das die Zuschauer unversehens an Bord der guten alten „Nostromo“ beamte, wo hinter jeder Ecke das zähnefletschende Alien lauerte. So dass man damals in der Muffathalle saß und in Gedanken aufstöhnte: „Houston, wir haben ein Problem!“

Jetzt, in der Alten Feuerwache zu Saarbrücken, der experimentellen Spielstätte des Saarländischen Staatstheaters, geriet die Raumstation zum Glück nicht ganz so heillos ins Flachtrudeln – obwohl der Kurs ähnlich war. Bodo Busse, der neue Intendant in Saarbrücken, hatte eine Produktion eingekauft, die Hermann Schneider, Intendant des Landestheaters in Linz, bereits 2016 am eigenen Haus inszeniert hatte. Und auch er setzt auf Handlungsrealismus im von dem Ausstatter Falko Herold geschaffenen angeschmuddelten Sci-Fi-Ambiente, in einem Rundraum, in dessen Wandnischen die Spielorte eingelassen sind. Das Tolle in Saarbrücken aber ist die Hör- und Erlebnisperspektive der Zuschauer. Denn die sitzen inmitten dieser arenaförmigen „Raumstation“, sie sind Mit-Passagiere, das Geschehen spielt um sie herum. Und über ihnen wölbt sich Obsts faszinierende Raumklang-Kuppel, erzeugt von dem unsichtbaren kleinen Kammerorchester unter Christopher Ward (der wenige Tage vor der Premiere als designierter Aachener GMD geoutet wurde), angereichert durch elektronische Klänge und dreidimensional aufgefächert durch einen Raumklang-Simulator aus dem Pariser IRCAM-Labor, der es vermag, Töne an Orten zu suggerieren, wo gar keine Lautsprecher sind. Das macht den Abend dann doch zum Erlebnis.

Valda Wilson singt das Rätselwesen Harey vielleicht mit ein bisschen zu viel vokaler Größe und lyrischer Seele – dieser „Gast“ ist ja nun keine Belcanto-Heldin. Dass es dennoch wie Belcanto klingt, zeigt aber auch, mit welcher technischen Souveränität Wilson mit dieser extremen Partie zurechtkommt. Salmón Zulic del Canto gibt dem Kris Kevin einen sehr kultivierten Bariton, Felix Rathgeber ist ein markiger Snaut, Julian Younjin Kim kommt bei seinem Auftritt als von den Toten auferstandener Gibarian vor lauter Nachdruck die Artikulation abhanden, Sebastian Kunzler geht in der Sprechrolle des Sartorius klanglich ein bisschen unter gegenüber der vokalen Konkurrenz.

So hatte diese Aufführung durchaus ihre starken Seiten. Aber die Chance, Michael Obsts Oper per Regie endlich mal von dem Moment aus szenisch aufzurollen, wo sie etwas hervorbringt, was kein Roman vermag: wortlos sinnliche Klangformen für das rätselhaft Fremde – diese Chance wurde auch in Linz und Saarbrücken wieder vertan.